Die „geschlossene Verteidigererklärung“ – ein Nachtrag

Über die Vor- und Nachteile einer „geschlossenen Verteidigererklärung“ habe ich kürzlich berichtet. Heute stieß ich auf eine Entscheidung, die mir dabei aus dem Blick geraten war. Daher ist der Vollständigkeit halber ein kurzer Nachtrag geboten. Es geht dabei u.a. um die Fragen a) wohin mit der Erklärung und b) liegt ein Fall des Urkundenbeweises vor?

Manche – natürlich nur vereinzelte – Verteidiger glauben, dass sie durch die Abgabe einer schriftlich vorbereiteten Erklärung, die sich anschließend mit den Worten „Zu Protokoll!“ dem Gericht überreichen, im Hinblick auf die Revision einen taktischen Vorteil erlangen. Und manche – natürlich auch nur vereinzelte – Richter meinen, dass sie die Erklärung tatsächlich als Anlage zum Protokoll nehmen und später im Urteil möglichst vollständig wiedergeben müssen. Wie man sich täuschen kann!

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH, 06.11.2018, 4 StR 226/18, NStZ 2019, 168) hat sich hierzu unlängst wie folgt geäußert: „Mit Blick auf die wörtliche Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten in den schriftlichen Urteilsgründen weist der Senat auf Folgendes hin: Auch wenn sich – wie es hier der Fall war – der Angeklagte bei seiner Einlassung in der Hauptverhandlung der Hilfe seines Verteidigers in der Form bedient, dass der Verteidiger mit seinem Einverständnis oder seiner Billigung für ihn eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgibt und das Schriftstück sodann vom Gericht entgegengenommen und – unnötigerweise – als Anlage zum Protokoll der Hauptverhandlung genommen wird, wird der Inhalt der Erklärung nicht im Wege des Urkundenbeweises, sondern als mündliche Äußerung des Angeklagten in die Hauptverhandlung eingeführt. Die wörtliche Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten birgt vielmehr die Gefahr eines Verstoßes gegen § 261 StPO. Im Übrigen ist das Tatgericht – unabhängig davon, wie die Einlassung des Angeklagten erfolgt ist – gehalten, sie im Urteil tunlichst unter Beschränkung auf ihren wesentlichen Inhalt mitzuteilen.“

Im Klartext: die einlassungsersetzende Verteidigererklärung kommt nicht als Anlage zum Protokoll, sondern zu den Akten, in die das Revisionsgericht bekanntlich nicht schaut. Und der BGH will auch nicht durch das Urteil über alle Einzelheiten der Einlassung informiert werden, sondern nur über den wesentlichen Inhalt nach dem Motto: „In der Kürze liegt die Würze„.

Für Verteidiger folgt daraus: unter dem Gesichtspunkt „dann habe ich die Einlassung im Protokoll“ ist eine Verteidigererklärung anstelle einer Einlassung des Mandanten jedenfalls nicht sinnvoll. Denn bereits vor Jahren hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH, 09.1.2008, 3 StR 516/08, NStZ 2009, 282) entschieden: „Wenn sich der Angeklagte bei seiner Einlassung in der Hauptverhandlung der Hilfe seines Verteidigers in der Form bedient, dass der Verteidiger mit seinem Einverständnis oder seiner Billigung für ihn eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgibt und das Schriftstück sodann – unnötigerweise – vom Gericht entgegengenommen und als Anlage zum Protokoll der Hauptverhandlung genommen wird, so ändert dies nichts daran, dass sich der Angeklagte damit mündlich geäußert und das Gericht den Inhalt dieser Äußerung in den Urteilsgründen festzustellen hat. Der Text der Protokollanlage ist deshalb nicht geeignet darzulegen (oder gar zu beweisen), wie sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung eingelassen hat.“ Auch dies gilt es zu bedenken bei der Abwägung der Vor- und Nachteile einer „geschlossenen Verteidigererklärung“.

Und für meine Kollegen heißt es: nehmen Sie die Verteidigererklärung dankend entgegen und zu den Akten. Was Sie im Urteil als deren wesentlichen Inhalt darstellen, ist allein Ihre Sache! Nur zu viel wörtliche Wiedergabe ist potentiell problematisch…

Die „geschlossene Verteidigererklärung“ – Fluch oder Segen?

Dass der Angeklagte sich nicht selbst zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußert, sondern sich stattdessen eine „geschlossene Verteidigererklärung“ – gemeint ist eine vom Verteidiger vorgetragene Einlassung, zu der keine Fragen beantwortet werden – zu Eigen macht, ist nicht selten zu beobachten. Für den Angeklagten ist das bequem, für den Verteidiger eine Gelegenheit, sich selbst zu inszenieren – aber ist es auch eine gute Idee?

Schauen wir zunächst einmal, was der Bundesgerichtshof zu dieser Vorgehensweise sagt: „Mit Recht wird im angefochtenen Urteil ausgeführt, dass einer Einlassung des Angeklagten, die sich in einer schriftlichen Verteidigererklärung erschöpft, ohne dass Nachfragen beantwortet werden, ein allenfalls sehr untergeordneter Beweiswert zukommen kann.“ (BGH, 21.10.2014, 5 StR 296/14, NJW 2015, 360). Dieser – für die Praxis außerordentlich bedeutsame – Satz findet sich ganz am Ende der vorgenannten Entscheidung. In dem Beschluss ging es hauptsächlich um eine ganz andere Frage, nämlich um die (Un-)Verwertbarkeit eines unter – vorsichtig ausgedrückt – sehr bemerkenswerten Umständen abgegebenen Geständnisses wegen der Tötung eines Neugeborenen durch die Mutter unmittelbar nach der Geburt. Die Dramatik des Sachverhalts und der krachende Verstoß gegen § 136a StPO mag erklären, warum er offensichtlich von vielen Verteidigern entweder übersehen, nicht für voll genommen oder nicht verstanden worden ist. Also nochmal zum Mitschreiben: was hat der 5. Senat des BGH da gesagt? Die sog. „geschlossenen Verteidigererklärung“ hat „allenfalls einen sehr untergeordneten Beweiswert“. Oder anders ausgedrückt: eine Einlassung durch Verteidigererklärung mit der Maßgabe, dass der Angeklagte keine Fragen beantwortet, ist so gut wie wertlos! Sie kann sogar hoch riskant sein, etwa wenn die bis dato zweifelhafte Täterschaft des Angeklagten eingeräumt wird, in der Hoffnung, den Tötungsvorsatz ausräumen zu können („Mein Mandant räumt ein, seine Frau mehrfach gegen den Kopf geschlagen zu haben. Mit einem tödlichen Ausgang hat er dabei nicht gerechnet, schon gar nicht hat er einen solchen gewollt!“). In einem solchen Fall wäre Schweigen das Mittel der Wahl, denn das Gericht kann – und wird zumeist – die Täterschaft als bewiesen und – je nach Lage der Dinge – die Einlassung zum fehlenden Tötungsvorsatz als widerlegt ansehen.

„Geschlossene Verteidigererklärung“ oder lieber ganz schweigen?

Aus Sicht mancher Verteidiger mag dies eine überraschende und unbequeme Erkenntnis sein, ist es doch vielen zur lieben Gewohnheit geworden, dem Mandanten den Mund zu verbieten und stattdessen selbst eine wohlabgewogene Erklärung zur Sache abzugeben, die sich der Mandant dann als seine Einlassung zu eigen macht. Dieses Vorgehen hat zweifellos gewisse Vorteile. Zum einen kann es – je nachdem, wie prägnant der Verteidiger zu formulieren versteht – zu einer beträchtlichen Zeitersparnis führen. Zum anderen kann auf diese Weise sichergestellt werden, dass sich der Angeklagte verständlich und vollständig äußert, statt vor Aufregung, Empörung oder Scham nur bruchstückhafte, unzusammenhängende und aus sich heraus unverständliche Angaben zu machen und womöglich den Unmut von Gericht, Staatsanwaltschaft und Öffentlichkeit auf sich zu ziehen. Darüber hinaus dürfte häufig die Überlegung eine Rolle spielen, dass sich der Angeklagte nicht „um Kopf und Kragen redet“ bzw. in Widersprüche verstrickt, wenn er selbst weitgehend „den Mund hält“. Um letzteres zu gewährleisten, weigern sich Angeklagte auf Empfehlung ihres Verteidigers nicht selten, ergänzende Fragen zu beantworten. Auf diese Weise hat der Verteidiger die volle Kontrolle über die Einlassung – und darin liegt zugleich auch der große Nachteil dieses Vorgehens.

Eine „geschlossene Verteidigererklärung“ ist Anlass, besonders genau hinzuschauen!

Auf der Suche nach der „forensischen Wahrheit“ wird sich das Gericht nämlich nur ungern mit einer – mutmaßlich juristisch optimierten – Verteidigererklärung „abspeisen“ lassen. Je nach Lage der Dinge, vor allem je nach dem Inhalt dieser Erklärung, wird es ihr unter Umständen deutlich skeptischer gegenüber stehen, als dies bei einer vom Angeklagten selbst abgegeben Einlassung der Fall wäre. Um dies möglicherweise etwas besser nachvollziehen zu können, mag man sich als Verteidiger vorstellen, der Hauptbelastungszeuge würde versuchen, seine Vernehmung abzuwenden, indem er eine von einem Rechtsanwalt formulierte Erklärung vorträgt und sich weigert, Nachfragen zu beantworten. Abgesehen davon, dass dies prozessual natürlich nicht erlaubt ist: würde man auf die Idee kommen, dass der Zeuge etwas zu verbergen hat? Höchstwahrscheinlich ja! Und welchen Beweiswert würde man dieser Aussage wohl zugestehen? Mit Sicherheit allenfalls einen sehr geringen! Was aber nützt eine liebevoll gestaltete Einlassung, wenn ihr schon aufgrund ihres Zustandekommens mit größter Skepsis begegnet wird? Sehr häufig wenig bis nichts!

Nicht selten ist zu beobachten, dass erfahrene Verteidiger ihre Mandanten lieber selbst reden lassen. Dadurch vermeiden sie eine Entwertung der Einlassung im oben dargestellten Sinne und nicht zuletzt auch spätere Schuldzuweisungen des Mandanten, wenn das Urteil nicht seinen Erwartungen entspricht („Wofür bezahle ich Sie eigentlich? Das hätte ich selber besser hingekriegt! Sie haben mich voll reingeritten!“).

Wenn es schief geht, ist im Zweifel der Verteidiger schuld!

Wenn man sich hingegen nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände für eine „geschlossene Verteidigererklärung“ entscheidet, kann es sich u.U. anbieten, kurze Ausführungen dazu zu machen, warum sich der Angeklagte nicht selbst äußern will (z.B. „Mein Mandant ist durch den Vorfall sehr aufgewühlt. Außerdem ist sprachlich nicht besonders gewandt und befürchtet, sich vor Aufregung nicht verständlich ausdrücken zu können. Ich teile diese Einschätzung, es war durchaus langwierig und schwierig, den Sachverhalt mit ihm zu besprechen. Er hat mich daher gebeten, für ihn einer Erklärung abzugeben, die er sich anschließend als Einlassung zu Eigen machen wird.“).

Bitte beachten Sie auch den den Nachtrag zum Thema „geschlossene Verteidgererklärung“!

Hohe Strafe trotz Alkoholisierung?

Nicht selten wird in der Hauptverhandlung – insbesondere von Seiten der Verteidigung – intensiv und mit großem Einsatz zu ergründen versucht, ob und in welchem Ausmaß der Angeklagte bei Begehung der Tat alkoholisiert war. Ziel dieser Bemühungen ist regelmäßig die Feststellung einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB, weil dann die Strafe gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden kann (sog. Strafrahmenverschiebung). Auf diese Weise würde sich bei einem begangenen Mord anstelle einer lebenslangen Freiheitsstrafe eine zeitige Freiheitsstrafe zwischen 3 und 15 Jahren ergeben. Dass Angeklagte und Verteidiger diese Chance zu nutzen versuchen, ist mehr als nachvollziehbar. Indes: die Hürden sind hoch! Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt vielfach: hohe Strafe trotz Alkoholisierung!

Hohe Strafe trotz Alkoholisierung?

Zunächst muss eine Alkoholisierung festgestellt werden, die von ihrem Ausmaß her überhaupt zu einer rechtlich relevanten Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit führt. Dazu hat der 1. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH, 21.01.2004, 1 StR 346/03, NJW 2004, 1810) entschieden: „Ob die Steuerungsfähigkeit […] bei Begehung der Tat „erheblich“ im Sinne des § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage. Diese hat der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt. Diese Anforderungen sind um so höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist.

Fangen wir hinten an: Klar ist, dass die Früchte – aus Sicht des Angeklagten – umso höher hängen, je hochwertiger das durch die Tat verletzte Rechtsgut ist. In Schwurgerichtsverfahren, in denen es um Straftaten gegen das Leben geht, hängen sie demnach besonders hoch. Oder wie es der 5. Senat (BGH, 07.11.2013,5 StR 377/13, NStZ 2014, 80) etwas vornehmer formuliert: „Bei Taten höchster Schwere ist bei der Zubilligung der Voraussetzungen erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit wegen der hohen Hemmschwelle besondere Zurückhaltung geboten“.

Klar ist ferner, dass man als Angeklagter nicht bereits deshalb auf der sicheren Seite ist, weil der psychiatrische Sachverständige eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit bejaht hat oder zumindest nicht sicher ausschließen mochte. Denn der Sachverständige hat – wie der Name bereits sagt – lediglich die Aufgabe, medizinischen Sachverstand zu vermitteln. Die Entscheidung, ob die Verminderung der Schuldfähigkeit „erheblich“ ist, trifft das Gericht in eigener Verantwortung.

Die  Blutalkoholkonzentration (BAK) ist dabei von untergeordneter Bedeutung, denn anders als bei den Straßenverkehrsdelikten gibt es nach der aktuellen Rechtsprechung bei sonstigen Straftaten keine festen „Promillegrenzen“ mehr, bei deren Erreichen bzw. Überschreiten stets von einer erheblich verminderten (oder gar aufgehobenen) Schuldfähigkeit auszugehen wäre. Stattdessen kommt es immer auf die vielbeschworenen Umstände des Einzelfalls an oder – mit den Worten des 1. Senats des BGH ausgedrückt – auf „eine Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild des Täters vor, während und nach der Tat beziehen“. Die BAK ist lediglich ein in diese Gesamtschau einzubeziehendes Indiz, dessen Gewicht umso geringer ist, je mehr sonstige aussagekräftige psychodiagnostische Kriterien zur Verfügung stehen.
So können die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung auch bei einer Blutalkoholkonzentration schon von unter 2 ‰ begründen, umgekehrt eine solche selbst bei errechneten Maximalwerten von über 3 ‰ auch ausschließen (BGH, 29.05.2012, 1 StR 59/12, NJW 2012, 2672).

Bis hierher war der Weg für den Angeklagten und seinen Verteidiger schon nicht einfach, aber es kommt noch schlimmer. Mit der Feststellung, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat alkoholbedingt erheblich vermindert war, ist noch nicht gewonnen. Denn die Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB steht im Ermessen des Gerichts. D.h. das Gericht kann eine Strafrahmenverschiebung vornehmen oder versagen. Dazu hat der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs (BGH, 24.07.2017, GSSt 3/17, zitiert nach juris)ausgeführt: „Im Rahmen der bei der tatgerichtlichen Ermessensentscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände kann eine selbst verschuldete Trunkenheit die Versagung der Strafrahmenmilderung tragen, auch wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist.“

Anders ausgedrückt: wenn sich der Täter betrunken hat, obwohl er nicht hätte trinken müssen, wird der verminderte Schuldgehalt kompensiert, denn (BGH a.a.O.)„das selbstverantwortliche Sich-Betrinken des Täters vor der Tat stellt für sich allein einen schulderhöhenden Umstand dar, der im Rahmen der Ermessensausübung nach § 21 StGB regelmäßig Berücksichtigung finden darf, ohne dass dies von einzelfallbezogenen Feststellungen dazu abhängig ist, ob sich auf Grund der jeweiligen persönlichen oder situativen Verhältnisse das Risiko der Begehung von Straftaten infolge der Alkoholisierung (für den Täter) vorhersehbar signifikant erhöht hatte.“

Im Ergebnis bedeutet das, dass regelmäßig nur noch alkoholabhängigen Angeklagten eine Strafrahmenverschiebung gewährt wird, weil ihnen die Alkoholisierung infolge ihrer Abhängigkeitserkrankung nicht vorgeworfen werden kann. Dem „Normaltrinker“ hingegen nützt seine Alkoholisierung in den allermeisten Fällen im Hinblick auf eine mildere Strafe nichts!

YGBSM – You Gotta Be Shittin‘ Me! (Teil 2)

Willkommen zu YGBSM – You Gotta Be Shittin‘ Me! (Teil 2). Während in Teil 1 – dem missglückten Überfall auf ein Love-Mobil – niemand zu Schaden gekommen war, ist der heutige Fall nichts für schwache Nerven. Das Tatgeschehen ist brutal, dilettantisch und völlig sinnlos. Aber machen Sie sich selbst ein Bild – Vorhang auf für ein Täterduo, in denen Stan Laurel und Oliver Hardy ihre Meister gefunden haben.

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You Gotta Be Shittin‘ Me!

Der zur Tatzeit 23 Jahre alte Angeklagte D hatte zwei Hobbies: seinen VW Golf GTI, mit dem er zu den Treffpunkten der lokalen „Autoschrauber-Szene“ fuhr, und Sex mit ständig wechselnden Partnerinnen, zu denen die spätere Nebenklägerin S gehörte. Nach einigen „one-night-stands“ brach D den Kontakt zu S ab.
Einige Wochen später meldete sie sich jedoch überraschend bei ihm und teilte ihm mit, dass sie schwanger und er der Vater des von ihr erwarteten Kindes sei. Der Angeklagte D war entsetzt über diese Nachricht. Er wollte keine Einschränkungen seiner Lebensplanung und seiner finanziellen Verhältnisse hinnehmen – für seinen getunten  PKW VW Golf GTI zahlte er bereits 300 € monatlich auf einen Kredit und eine Veräußerung des Fahrzeugs kam für ihn nicht in Frage.

Für schnellen Verkehr: VW Golf GTI!

Er versuchte, die Nebenklägerin zu einer Abtreibung zu überreden. Diese bestand jedoch darauf, das Kind zur Welt zu bringen und fragte den Angeklagten D mehrfach, ob er sich später um das Kind kümmern oder nur Unterhalt zahlen wolle. Der Angeklagte D fühlte sich hierdurch „gestalkt“, d.h. von der Nebenklägerin verfolgt und unter Druck gesetzt. Schließlich vertraute der Angeklagte D sich seinem Kumpel, dem Angeklagten T an, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt und ihm berichtete, er habe mal davon gehört, dass eine Schwangere infolge von Schlägen gegen den Bauch ihr Kind verloren habe. Die Idee einer gewaltsamen Abtreibung durch Schläge gegen den Bauch der Nebenklägerin faszinierte den Angeklagten D. Zumindest in groben Zügen verständigten sich die Angeklagten über einen Tatplan, bei dem der Angeklagte T einen solchen Angriff gegen die Nebenklägerin führen sollte. Der T kannte die Nebenklägerin, denn sie hatte für ihn einige Monate zuvor eine Tätowierung („Odin statt Jesus“) entworfen.

He asked for a ’13‘, but they drew a ’31‘ (The Offspring)

Kurz darauf bot sich auch eine Gelegenheit, den Tatplan umzusetzen. Die Nebenklägerin hatte den Angeklagten D bereits mehrfach um ein klärendes Gespräch über die Zukunft des Kindes gebeten. Dieser gab nun vor, zu einer solchen Unterhaltung bereit zu sein und verabredete sich mit ihr zu einem Spaziergang an einem See. Tatsächlich beabsichtigte er aber, dort gemeinsam mit dem Angeklagten T die angedachte Tat auszuführen. Er schickte T eine Textnachricht: „Der Scheiß muss das kommende WE gemacht werden“. Der antwortete: „Jou, kriegen wir hin“. Im weiteren Verlauf einigten sie sich auf folgenden Tatplan: Der Angeklagte D würde den Angeklagten T, bewaffnet mit einem Baseballschläger, in der Nähe des Sees in der Feldmark absetzen. Anschließend würde er die Nebenklägerin zu einem Spaziergang in der Nähe des Sees abholen. Dort würde der Angeklagte T die arg- und wehrlose Nebenklägerin von hinten angreifen und zunächst durch Schläge mit dem Baseballschläger gegen den Kopf bewusstlos machen. Anschließend würde er durch Schläge gegen ihren Bauch/Unterleib die Schwangerschaft abbrechen und schließlich unerkannt weglaufen. Für den Fall, dass die Nebenklägerin den Angriff überleben würde, war beabsichtigt, die Tat als brutalen Raubüberfall eines unbekannten Täters darzustellen.

„Der Scheiß muss das kommende WE gemacht werden“

Die Umsetzung dieses Plans ging in jeder Hinsicht schief. Der Angeklagte T sprang zu früh aus dem Gebüsch, so dass ihn die Nebenklägerin erkannte – die Geschichte vom unbekannten Räuber war damit im Eimer. Dennoch schlug er mindestens fünfmal wuchtig in Richtung ihres Kopfes. Die Nebenklägerin ging zu Boden und schrie um Hilfe, was den Angeklagten D veranlasste, sie zum Schweigen zu bringen. Er setzte sich auf ihren Oberkörper und begann, die Nebenklägerin von vorn mit beiden Händen kräftig zu würgen, um sie zu töten. Die Nebenklägerin geriet infolge des starken und anhaltenden Würgens in akute Luftnot und fürchtete um ihr Leben. In der Hoffnung, der Angeklagte D werde von ihr ablassen, wenn sie sich totstelle, schloss sie die Augen und bewegte sich nicht mehr. Als der Angeklagte D dies bemerkte, hielt er sie für tot. Die Nebenklägerin bemerkte noch, dass der Angeklagte D von ihr abließ. Kurz darauf verlor sie tatsächlich das Bewusstsein.

Beide Angeklagten gingen jetzt davon aus, die Nebenklägerin getötet zu haben. Die ursprünglich geplanten Schläge gegen den Bauch zur Beseitigung des Fötus waren aus ihrer Sicht nun nicht mehr notwendig. Sie machten sich daran, die Spuren der Tat zu verwischen und die vermeintliche Leiche zu beseitigen bzw. so zu verbergen, dass ein zeitnahes Auffinden unmöglich wäre. Zu diesem Zweck schleiften sie die Nebenklägerin über einen Acker und weiter durch einen Buschstreifen, dessen Boden u.a. mit Brennnesseln und Brombeeren bewachsen war und durch einen zu diesem Zeitpunkt trockenen Entwässerungsgraben. Obwohl sie dabei großflächige Hautabschürfungen im Bereich des Bauches und der Brüste erlitt, kam sie nicht wieder zu Bewusstsein. Der Angeklagte D schleifte die Bewusstlose bis zu einer durch Bäume und Büsche verdeckten Senke, an der nach Art einer „wilden“ Müllkippe Grünabfälle abgeladen worden waren und ließ sie dort zwischen den Grünabfällen liegen. Die Angeklagten, die die Nebenklägerin weiterhin für tot hielten, meinten, sie müssten nun lediglich den Tatort möglichst unauffällig verlassen und sich ein Alibi beschaffen – ein Irrtum, wie sich bald herausstellte. Denn die Nebenklägerin wurde kurz darauf zufällig von Spaziergängern entdeckt. Sie überlebte die Tat und brachte wenige Monate später auch ihr Kind gesund zur Welt.

Mutter und Kind waren wohlauf.

Die Angeklagten wurden wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchtem Schwangerschaftsabbruch zu Freiheitsstrafen von jeweils 12 Jahren verurteilt – und der Angeklagte D erzielte in der Revision einen Teilerfolg à la Pyrrhos I. von Epirus. Weil wir die Ablehnung eines Befangenheitsantrags gegen einen Sachverständigen nicht ausführlich genug begründet hatte, hob der BGH das Urteil im Hinblick auf die Schuldfähigkeit und die Strafe auf, ließ die Feststellungen im Übrigen jedoch bestehen. Das Ergebnis der neuen Hauptverhandlung war absehbar: auch der neue Sachverständige konnte kein „Eingangskriterium“ im Sinne von § 20 StGB feststellen, der Angeklagte D war kerngesund, voll schuldfähig und bekam – genau – noch einmal 12 Jahre Freiheitsstrafe.

Dennoch ergab die Hauptverhandlung eine spektakuläre neue Erkenntnis: ein Vaterschaftstest hatte zwischenzeitlich ergeben, dass der Angeklagte D gar nicht der Vater des Kindes der Nebenklägerin war…  Was mag er sich gedacht haben, als er das erfuhr?

„You Gotta Be Shittin‘ Me!“.

Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) – Teil 1

Zuletzt hatte ich darüber berichtet, ob und wie sich die Alkoholisierung des Täters auf die Strafhöhe auswirkt. Nun soll es um die zweite mögliche Konsequenz einer Rauschtat gehen, nämlich die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB). In Teil 1 sollen zunächst die Voraussetzungen der Anordnung dieser Maßregel dargestellt werden. Teil 2 wird sich in Kürze mit den Chancen und Risiken beschäftigen, die § 64 StGB dem Angeklagten bietet.

„… und wenn es dunkel wird, greifen sie zum Glas!“ (Herbert Grönemeyer)

In § 64 S. 1 StGB heißt es: „Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Wenn die Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) vorliegen, muss das Gericht sie anordnen. Zwar steht in § 64 S. 1 StGB „soll“, doch der Bundesgerichtshof meint, es handele sich nicht um eine „Ermessensvorschrift im engeren Sinne“ (BGH, 13.06.2018, 1 StR 132/18, StV 209, 269). Im Folgenden sind die Voraussetzungen näher dargestellt:

Die erste Voraussetzung für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist ein „Hang“. Ein Hang ist weniger als eine Sucht bzw. eine Abhängigkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, 11.04.2019, 4 StR 69/19) gilt insoweit: „Für einen Hang gemäß § 64 StGB ausreichend ist eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer psychischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Konsum von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint . Letzteres ist der Fall bei der Begehung von zur Befriedigung des eigenen Drogenkonsums dienenden Beschaffungstaten . Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt die Bejahung eines Hangs nicht aus . Ebenso wenig ist für einen Hang erforderlich, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist.“ Auch Täter, die kein „tägliches Konsummuster“ zeigen, können einen Hang haben, denn „Intervalle der Abstinenz stehen der Annahme eines Hanges nicht entgegen“ (BGH, 05.09.2019, 3 StR 181/19). Es kann genügen, wenn der Täter von Zeit zu Zeit oder bei passender Gelegenheit seiner Neigung zum Rauschmittelkonsum folgt.“ Man sieht: ein Hang im Sinne von § 64 StGB ist relativ schnell erreicht!

Zweite Voraussetzung für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) ist eine im Rausch begangene oder auf den Hang zurückgehende Tat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Täter im Zustand erheblich verminderter oder gar aufgehobener Steuerungsfähigkeit gehandelt hat. Für einen „symptomatischen Zusammenhang“ reicht es aus, „wenn der Hang neben anderen Ursachen zur Tatbegehung beigetragen hat“ (BGH, 06.02.2018, 3 StR 616/17, StV 2019, 263).

Dritte Voraussetzung ist die Wiederholungsgefahr, also die Gefahr weiterer erheblicher hangbedingter Straftaten. Für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) ist die „begründete“ Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher Straftaten erforderlich; es muss mit einer Wiederholung „zu rechnen“, dies muss „konkret (zu) besorgen“ sein“. Die bloße Wiederholungsmöglichkeit genügt nicht.“ (BGH, 22.1.2018, 4 StR 356/18, NStZ-RR 2019, 75). „Erheblich“ im Sinne von § 64 StGB können grundsätzlich Straftaten aller Art sein, nicht jedoch reine Bagatelltaten (z.B. Beleidigungen ohne Drohung oder Tätlichkeiten, geringfügige Diebstähle, Erwerb kleiner Rauschgiftmengen zum Eigenkonsum). Eine Allgemeingefährlichkeit wird bei § 64 StGB – anders als bei § 63 StGB – nicht vorausgesetzt (BGH, 14.04.2010, 2 StR 112/10, NStZ-RR 2010, 238).

„Kiffen macht gleichgültig? Mir doch egal!“

Die vierte Voraussetzung für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) findet sich in § 64 S. 2 StGB. Dort heißt es: „Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.“ Die Beurteilung dieser „Erfolgsaussicht“ erfolgt auf Grundlage einer Einzelfallprognose, bei der das Gericht durch einen psychiatrischen Sachverständigen „sachkundig“ gemacht wird. Prognosegünstige Faktoren (z.B. bekundete Therapiebereitschaft, relativ gute Deutschkenntnisse) sind gegen prognoseungünstige Faktoren (z.B. langjährige Drogenabhängigkeit, wiederholte Inhaftierung, mehrfache erfolglose Langzeittherapien, fehlender sozialer Empfangsraum und berufliche Perspektivlosigkeit) abzuwägen. Auch insoweit gilt: die Entscheidung obliegt nicht dem Sachverständigen, sondern dem Gericht!

Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang beim Raub mit Todesfolge

Nach dem jüngsten Ausflug in die leichte Unterhaltung kehren wir heute wieder ins seriöse Fach zurück. In einer gerade veröffentlichten Entscheidung hat sich der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH, 24.05.2019, 2 StR 469/18) damit beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen ein sog. tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang gesteht, der für eine Verurteilung gemäß § 251 StGB erforderlich ist. ReferendarInnen aufgepasst: der Beschluss schreit geradezu danach, Teil einer Examensklausur zu werden!

Das Landgericht Köln hat den Angeklagten am 28.02.2018 wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Auf die Revision des Angeklagten hat der BGH das Urteil im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem schweren Raub (also nicht in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge) verurteilt wird. Die weitergehende Revision des Angeklagten hat der Senat als unbegründet verworfen. Auch dieser „Revisionserfolg“ – nach fast eineinhalb Jahren(!) – dürfte beim Angeklagten keine Begeisterungsstürme entfacht haben!

Was war passiert? Nach den Feststellungen war der Angeklagte in die Wohnung des Geschädigten eingedrungen und hatte diesen zur Herausgabe von Geld und Wertgegenständen aufgefordert. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, hatte er dem Tatopfer – in einer ersten Phase des Tatgeschehens – Faustschläge ins Gesicht versetzt, dennoch aber weder Geld erhalten noch finden können. Deshalb hatte er sich entschlossen, die Gewalteinwirkung zu intensivieren und seinem Opfer mit einer Zange mindestens einmal auf den Hinterkopf geschlagen, was zu einer blutenden, aber nicht lebensgefährlichen Kopfverletzung geführt hatte. Nach weiterer vergeblicher Suche hatte der Angeklagte erkannt, dass sein Plan, Beute zu machen, gescheitert war und dass damit seine finanzielle Misere fortbestehen würde. Aus Wut hierüber hatte er nunmehr in einer zweiten Phase des Tatgeschehens mit jedenfalls bedingtem Tötungsvorsatz massiv mit der Zange auf das Tatopfer eingeschlagen, wodurch dieses u.a. Impressionsbrüche beidseits des Hirnschädels, Brüche beider Augenhöhlendächer, einen Jochbeinbruch rechts, einen Abbruch des Oberkiefers von der knöchernen Schädelbasis sowie stark nach innen blutende Gesichtsschädelverletzungen im Bereich der Mundregion erlitten hatte. Sodann hatte er dem rücklings auf seinem Bett zu liegen gekommenen Opfer entweder durch mehrfaches Springen oder durch gewaltsames Niederknien Rippenserienbrüche, Abbrüche von Lendenwirbeln, Brüche am Brustbein und am Schulterblatt sowie eine Lungenanspießungsverletzung zugefügt. Dem Angeklagten war bewusst gewesen, dass die Intensität dieser Gewalteinwirkung über das für eine Tötung erforderliche Maß hinausgegangen war und dass sein Opfer unter massiven Schmerzen und Todesangst gelitten hatte. Der Angeklagte hatte sodann die Wohnung des Geschädigten verlassen, ohne etwas mitzunehmen; das Opfer war etwa eine halbe Stunde später an den Folgen der in der zweiten Tatphase zugefügten Verletzungen verstorben.

Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang?

Der BGH hat zu diesem Geschehen angemerkt, dass das Raubdelikt und das Tötungsdelikt – anders als vom LG Köln angenommen – in Tatmehrheit zueinander stehen dürften und dazu ausgeführt: „Gleichwohl hat die Annahme des Landgerichts, zwischen dem Vermögens- und dem Tötungsdelikt bestehe Tateinheit, Bestand; sie beschwert den Angeklagten hier nicht.“

Dass es sich beim dem tateinheitlich (?) begangenen Raubdelikt nicht um einen versuchten Raub mit Todesfolge, sondern „nur“ um einen versuchten schweren Raub gehandelt, hat der Senat wie folgt begründet: „Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte nicht wegen versuchten Raubes mit Todesfolge, sondern wegen versuchten schweren Raubes (§§ 249, 250 Abs. 1 Nr. 1b, §§ 22, 23 StGB) strafbar gemacht. Die dem Opfer in der zweiten Phase des Tatgeschehens zugefügten tödlichen Verletzungen waren nicht mehr durch die Raubtat verursacht. Wer beim Versuch eines Raubes mindestens leichtfertig den Tod eines Menschen verursacht, ist wegen versuchten Raubes mit Todesfolge (§§ 249, 251, 22, 23 Abs. 1 StGB) zu bestrafen. Dies gilt auch dann, wenn der Täter den Tod vorsätzlich herbeigeführt hat. Allerdings kann im Hinblick auf die deutlich erhöhte Strafdrohung in § 251 StGB von einer „wenigstens leichtfertigen“ Todesverursachung „durch die Tat“ nur dann ausgegangen werden, wenn nicht nur der Ursachenzusammenhang im Sinne der Bedingungstheorie gegeben ist, sondern sich im Tod des Opfers tatbestandsspezifische Risiken verwirklichen, die typischerweise mit dem Grundtatbestand einhergehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dieser besondere qualifikationsspezifische Zusammenhang unter Berücksichtigung des Wortlauts und des Schutzzwecks der Norm auch dann gegeben, wenn die den Tod des Opfers herbeiführende Handlung zwar nicht mehr in finaler Verknüpfung mit der Wegnahme steht, sie mit dem Raubgeschehen aber derart eng verbunden ist, dass sich in der Todesfolge die der konkreten Raubtat eigentümliche besondere Gefährlichkeit verwirklicht, was auch noch in der Beendigungsphase des Raubes in Betracht kommen kann. Hiervon ausgehend ist der von § 251 StGB geforderte Gefahrzusammenhang etwa dann bejaht worden, wenn die mit dem Einsatz der Nötigungsmittel zur Wegnahme regelmäßig verbundene Konfrontation mit dem Opfer dazu führt, dass das Opfer sich zum Zweck der Tatverhinderung und/oder der Ergreifung des Täters zur Wehr setzt und der Täter darauf mit tödlicher Gewalt reagiert, wenn der Täter nach der Wegnahmehandlung zur Sicherung der Beute oder seiner Flucht Gewalt anwendet und dadurch den Tod eines anderen verursacht, wenn mit dem Nötigungsmittel ausgeführte Gewalteinwirkungen dazu dienten, das Tatopfer zum Schweigen zu bringen und dadurch eine Entdeckung der Tat zu verhindern, wenn aus der Befürchtung entdeckt zu werden oder aufgrund anspannungsbedingter Fehleinschätzung ein nichtiger Anlass oder ein Missverständnis zu einem Gewaltausbruch des Täters gegenüber dem Opfer führt oder wenn sich bei einer räuberischen Erpressung unter Verwendung einer Schusswaffe die Gefahr der Eskalation durch den – dann tödlichen – Gebrauch der Waffe verwirklicht, weil das Opfer die Forderungen des Täters nicht erfüllt. Ob an dieser Rechtsprechung in jeder Hinsicht festzuhalten ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn auch nach ihr kann sich der von § 251 StGB geforderte besondere qualifikationsspezifische Zusammenhang nicht mehr realisieren, wenn bei der zum Tode führenden Gewaltanwendung der Raub bzw. die räuberische Erpressung bereits beendet war . Dem steht es gleich, wenn der Raub bzw. die räuberische Erpressung lediglich versucht und zum Zeitpunkt der tödlichen Gewalteinwirkung die Erlangung einer Tatbeute aus Sicht des Täters bereits endgültig gescheitert war. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – anders als in dem mit Beschluss vom 13. August 2002 (3 StR 204/02, aaO) entschiedenen Fall – der Täter mit der dann tödlich verlaufenden Gewalteinwirkung auf das Tatopfer erst beginnt, nachdem aus seiner Sicht die Erlangung der erstrebten Beute durch keine Handlungsalternative mehr verwirklicht werden kann, eine Fortsetzung der Tat als (versuchtes) Vermögensdelikt also nicht mehr in Betracht kommt. So verhält es sich nach den getroffenen Feststelllungen hier: Als sich der Angeklagte zur Tötung seines Opfers entschloss, nahm er an, in der Wohnung des Opfers seien weder Geld noch Wertgegenstände zu finden, seine finanzielle Misere würde fortbestehen. Bei dieser Sachverhaltskonstellation waren die zugefügten tödlichen Verletzungen nicht mehr durch die Raubtat im Sinne des § 251 StGB verursacht.

Oder in ganz knappen Worten: wenn es zur Anwendung tödlicher Gewalt kommt, obwohl die Beute bereits in Sicherheit ist oder der Täter nicht mehr mit der Erlangung einer Beute rechnet, wird kein Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB) draus – und zumeist werden die Taten in Tatmehrheit (§ 53 StGB) zueinander stehen.