Zeugenaussagen – irren ist menschlich!

„Herr Subatzus, eines muss ich Ihnen sagen: Der Zeugenbeweis gehört abgeschafft!“ – so sprach vor mittlerweile über 10 Jahren ein seinerzeit bereits pensionierter Vorsitzender Richter am Landgericht zu mir. Und der Mann meinte es ernst: wann immer in seiner Zivilkammer eine Zeugenvernehmung unumgänglich wurde, wurde die Sache auf den Einzelrichter übertragen: „Den Unfug müssen wir uns nicht auch noch zu Dritt anhören!“ Es war übrigens derselbe, der von den „alten Zeiten“ schwärmte, als Richter und Anwälte sich angeblich ab 15 Uhr auf dem Tennisplatz trafen und Vergleiche beim anschließenden Bier im Clubheim geschlossen wurden…

Erinnerung verblasst durch Zeitablauf!

Dass der Zeugenbeweis abgeschafft wird, werden wir wohl nicht mehr erleben, denn bis alle Menschen mit einer Art „blackbox“ herumlaufen, die unser Denken und Handeln aufzeichnet und bei Bedarf ausgelesen werden kann, wird es hoffentlich noch ein paar Jahrhunderte dauern. Und bis dahin werden wir alle, egal ob Staatsanwalt, Richter oder Rechtsanwalt, auch mit den Unzulänglichkeiten dieses Beweismittels leben müssen. Wichtig ist jedoch, dass wir sie uns alle immer wieder ins Gedächtsnis rufen!

Ich hatte kürzlich en passant von einem Verfahren berichtet, bei dem zwei jungen Männern vorgeworfen worden war, in Lüneburg auf eine Personengruppe geschossen und einen Mann durch zwei Treffer verletzt zu haben. Das Ergebnis der Beweisaufnahme lässt sich – leicht vereinfacht – in etwa so zusammenfassen: Einer der beiden Angeklagten war der Fahrer eines PKW, von dem aus oder aus dessen Nähe in schneller Folge die Schüsse abgegeben worden waren. Im PKW fanden sich insbesondere am Dachhimmel der Beifahrerseite zahlreiche Schmauchspuren, also Partikel, die im Zündsatz von Pistolenmunition vorkommen. Ebenfalls auf der Beifahrerseite fand man 11 Patronenhülsen im Kaliber 9mm Luger, von denen ein Sachverständiger feststellen konnte, dass sie alle aus derselben Selbstladepistole verfeuert worden waren. Die im Rücken und im Bein des Opfers gefundenen Geschossteile wiederum passten zu diesen Hülsen. Auf der Fahrerseite gab es keine Hülsen und nur ein einziges kleines Schmauchteilchen. Wer der Beifahrer gewesen war, ließ sich nicht feststellen, der zweite Angeklagte hatte ein Alibi. Zwei Zeuginnen berichteten uns, ein ehemaliger Freund habe ihnen gegenüber wiederholt behauptet, er habe die Schüsse abgegeben, und sich darüber amüsiert, dass die falschen Männer angeklagt seien. Dieser Freund wiederum war nicht angeklagt und berief sich als Zeuge auf sein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO. Klingt eindeutig, oder?

Wer mit einer Waffe bedroht wird, erinnert selten das Gericht des Täters!

Damit es nicht zu einfach wurde, gab es ja noch die „Opferzeugen“, also die Mitglieder jener Personengruppe, auf die oder in deren Richtung geschossen worden war. Bei ihren Aussagen mischten sich offensichtliche Belastungstenden – Anlass der Auseinadersetzung waren angeblich Drogengeschäfte, mit denen natürlich niemand etwas zu tun haben wollte – und Erinnerungsdefizite. Manche wollten nur Schüsse aus der Fahrerseite gesehen haben, andere Schüsse aus Fahrer- und Beifahrerseite. Manche meinten, der Fahrer habe eine Waffe aus dem Fenster gehalten, geschossen habe aber möglicherweise nur der Beifahrer, andere erinnerten über ein Jahr nach der Tat eine Pistole, die sie bei ihrer polizeilichen Vernehmung unmittelbar nach der Tat nicht erwähnt hatten. Kurz, es ging munter drunter und drüber. Damit wir uns nicht falsch verstehen: so lustig, wie es in dieser Zusammenfassung möglicherweise klingt, war die Sache keineswegs. Eine Schießerei auf offener Straße mit 11 Schüssen aus einer 9mm-Pistole ist eine ernste und hochgefährliche Angelegenheit, für die mir persönlich der Humor fehlt. Und natürlich mühten wir uns an den Zeugen ab, machten ihnen Vorhaltungen, ermahnten Sie wiederholt zur Wahrheit – vergebens. Ich will nicht verhehlen, dass es für meine Kollegen und mich bisweilen frustrierend ist, wenn sie die Suche nach der Wahrheit als mission impossible herausstellt. In diesem Fall aber war das Scheitern sozuagen vorprogrammiert, denn aufgrund der Umstände – Dunkelheit, Überausschungsmoment, Schnelligkeit des Ablaufs – war mit belastbaren Zeugenaussagen von Anfang an nicht zu rechnen. Warum? Sehen Sie sich diesen Beitrag an, bevor sie weiterlesen!

Zeugenaussagen – irren ist menschlich!

Willkommen zurück! WIe haben Ihnen die Versuche gefallen? Der mit der jungen Frau, die nach dem Weg fragt: Oranges Oberteil? Weißes Blüschen mit blauen Blümchen? Offene Haare?
Dann der „Überfall“: die Zeugen stehen bzw. sitzen nach der „Tat“ zusammen und reden offenbar über den Vorfall, tauschen Erinnerungen aus und ergänzen sie. Ganz wie im echten Leben. Mit „echten“, d.h. unverfälschten Erinnerungen braucht man nach diesem Austausch nicht mehr zu rechnen. Trotzdem ergeben sich fast 30 Jahre Unterschied bei der Altersschätzung. In der Hauptverhandlung heißt es dann später in 9 von 10 Fällen: „Ich habe mich mit niemandem darüber unterhalten. Warum sollte ich?“
Interesant auch der Gedächtnisforscher Hans Markovic, der meint, etwa die Hälfte aller Aussagen vor Gericht sei weit von der Wahrheit entfernt und das auch erklärt. „Stresshormone überschwemmen das Gehirn und führen dazu, dass man auch seine Wahrnehmung sehr eng ausrichtet, und alles in der Peripherie wird mehr oder weniger ausgeblendet, das bedeutet, dass unter Stress Wahrnehmung häufig sehr eingeschränkt ist.“ Das leuchtet mir ein und erklärt zwanglos das oben geschilderte Durcheinander bei den „Opferzeugen“. Und schließlich die „Wiedererkennung“ – ja, ich weiß, das war keine sequentielle Wahllichtbildvorlage nach RiStBV Nr. 18, das war halt für’s Fernsehen. Trotzdem beeindruckend, oder? Jeder zweite „Wiedererkenner“ lag falsch!

Sie wollen mehr? Wie wäre es mit diesem Beitrag aus der ARD-Reihe „Quarks“? Oder mit diesem Spiegel-Artikel? Für Fans des Privatfernsehens hätte ich noch etwas von Pro7 aus der Reihe Galileo.

Und was folgt nun daraus für die gerichtliche Praxis? Zeugenaussagen, die nicht durch objektive Indizien (Spuren, Videoaufzeichnungen etc.) bestätigt werden, muss man mit großer Vorsicht begegnen. Das gilt für Verkehrsunfälle, für Wirtshausschlägereien und natürlich auch für Schwurgerichtsverfahren. Als Staatsanwalt muss man sich schon im Ermittlungsverfahren mit der Frage befassen, wie Zeugenaussagen zustande gekommen sind und welchen Beweiswert sie haben. Einfach nur den Akteninhalt kopieren, einfügen und „wesentliches Ergebnis der Ermittlungen“ draufschreiben ist zu wenig – das könnte auch die Polizei!
Für Richterinnen und Richter heißt es immer auf’s Neue: fragen, nachhaken und sich immer darüber im Klaren sein, dass viele Zeugen absichtlich oder (vermutlich häufiger) unabsichtlich dummes Zeug erzählen. Sich darüber zu ärgern, bringt die Wahrheitsfindung auch nicht voran!
Und für Verteidiger gilt: machen Sie in geeigneten Fällen darauf aufmerksam, dass schon aufgrund der äußeren Umstände durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit von Zeugenaussagen bestehen. Versuchen Sie, gerade Schöffen sowie junge Richter und Staatsanwälte für das Thema „Fehleranfälligkeit von Zeugenaussagen“ zu sensibilisieren.

Verdienstmöglichkeiten für Berufseinsteiger im Anwaltsberuf

Nachdem ich kürzlich darüber berichtet habe, was Berufseinsteiger als Richterinnen und Richter bzw. Staatsanwältinnen und Staatsanwälte verdienen, will ich mich heute mit den Verdienstmöglichkeiten für Berufseinsteiger im Anwaltsberuf beschäftigen. Verdienen junge Volljuristen als Rechtsanwälte mehr als im Staatsdienst? Und wenn ja – wie groß ist der Unterschied?

Wenn man sich mit den Verdienstmöglichkeiten von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten befasst, werden zwei Dinge schnell klar. Erstens ist die Datenlage weitaus unsicherer als bei der Richterbesoldung, die sich unschwer anhand der einschlägigen Besoldungstabellen ermitteln lässt. Und zweitens sind die Unterschiede zwischen den Gehältern in kleinen Kanzleien und in international aufgestellten Wirtschaftskanzleien („law firms“) gewaltig.

„In kleineren Kanzleien, die den deutschen Rechtsdienstleistungsmarkt dominieren, starten Jungjuristen mit 40.000 Euro“, so ist beim Beck-Stellenmarkt zu lesen. Auf gehaltsvergleich.com heißt es etwas differenzierter: „Nach Beendigung des Studiums winkt Rechtsanwälten durchschnittlich ein Anfangsgehalt von 3.609 € im Monat. Dabei steigen Männer und Frauen jeweils mit sehr unterschiedlichen Gehältern ein: Ein Rechtsanwalt verdient zu Beginn durchschnittlich 3.906 €, während eine Rechtsanwältin auf lediglich 3.221 € kommt.“ Diese Zahlen sind Durchschnittswerte, d.h. es gibt eine Bandbreite mit deutlich besseren, aber auch mit deutlich schlechter bezahlten Jobs.

Traurige Berühmtheit erlangte ein Rechtsanwalt im OLG Bezirk Hamm, dessen Fall schließlich vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG, 17.12.2014, 5 AZR 663/13, NZA 2015, 608) landete. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden war ein monatliches Bruttogehalt von 1.200 € arbeitsvertraglich vereinbart, außerdem trug die Arbeitgeberin noch die Kosten für seine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung. Hochgerechnet wären das einschließlich Versicherung rund 2.500 € für eine 40-Studen-Woche gewesen. Da ist die Grenze, ab der das BAG von einem „auffälligen Missverhältnis“ im Sinne von § 138 Abs. 2 BGB ausgeht, nicht mehr weit weg. Zitat BAG (a.a.O.): „Das Missverhältnis ist auffällig, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel der in dem betreffenden Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Vergütung erreicht.“ Der gesetzliche Mindestlohn bei einer 40-Stunden-Woche beträgt übrigens derzeit 1.593 €…

Zurück zu „normalen“ Verdienstmöglichkeiten für Berufseinsteiger im Anwaltsberuf: Ich hatte kürzlich die Gelegenheit, mit zwei Freunden und ehemaligen Studienkollegen zu sprechen, die beide Rechtsanwälte in Hamburg sind. Der eine ist als Steuerrechtler in einer Großkanzlei tätig, der andere ist Partner in einer ausschließlich arbeitsrechtlich tätigen Kanzlei mit gut 20 Rechtsanwälten. Der Steuerrechtler nannte eine Spanne von 55.000 bis 75.000,- als Einstiegsgehalt, je nachdem, welche Qualifikationen (insb. steuerrechtliche Vorkenntnisse) ein Bewerber bzw. eine Bewerberin mitbringe. Unabdingbare Voraussetzung sei, dass die Bewerber fließend Englisch könnten, weil die Arbeit fast ausschließlich auf Englisch zu erledigen sei. Der Arbeitsrechtler nannte keine konkreten Zahlen, ließ aber durchblicken, dass die o.g. Größenordnung in seiner Kanzlei nur ausnahmsweise in Betracht komme, die normalen Einstiegsgehälter also eher niedriger lägen. Mit „Großkanzleigehältern“ könne und wolle man nicht mithalten, stattdessen setzte man darauf, dass die Mitarbeiter „normale“ Arbeitszeiten hätten und regelmäßig zwischen 18 und 19 Uhr Feierabend machen würden.

Das große Geld wird in großen Wirtschaftskanzleien verdient!

Zu den immer wieder genannten „Traumgehältern“, die in „law firms“ gezahlt werden, schreibt gehaltsvergleich.com: „Wer Dank seines herausragenden Examens zu den Top-Absolventen eines Jahrgangs gehört, hat die Chance, bei einer großen und namhaften Top-Kanzlei einzusteigen. Und wer dort genommen wird, darf zum Start mit Jahresgehältern jenseits der 100.000 € rechnen. Ganz oben in der Einkommensrangliste stehen seit Jahren die renommierten, weltweit agierenden angelsächsischen Kanzleien. So bekommt man laut des Fachportals Azur im 1. Jahr zum Beispiel bei Sullivan & Cromwell 140.500 €, bei Milbank Tweed Hadley & Mc Cloy 140.000 € und bei Willkie Farr & Gallagher 130.000 €. Auch wenn es einige weitere Kanzleien in dieser Gehaltsregion gibt – der Großteil aller Absolventen wird mit einem deutlich niedrigeren Einstiegsgehalt starten.“

Eine interessante Alternative zum klassischen Anwaltsberuf kann eine Anstellung in einem großen Wirtschaftsunternehmen sein. Von einem europäischen Flugzeuhersteller weiß ich aus zuverlässiger Quelle, dass die Einstiegsgehälter für Volljuristen (Arbeitsrechtler) bei rund 95.000 € liegen.

Die Richterbesoldung – was verdienen Richter und Staatsanwälte?

Mein Beitrag über die Einstellungsvoraussetzungen für Richterinnen und Richter ist – für mich ebenso überraschend wie erfreulich – auf großes Interesse gestoßen. Er hat auch einige Kommentare hervorgebracht mit der Kernaussage: „Die Richterbesoldung ist viel zu niedrig!“. Um das beurteilen zu können, muss man als Berufseinsteiger natürlich zunächst einmal wissen, was Richter und Staatsanwälte eigentlich verdienen. Auf die Frage, was man/frau als VolljuristIn andernorts verdienen kann und welche Vor- und Nachteile der Richterberuf hat, werde ich an anderer Stelle eingehen. Also ran an die Fakten!

Die Richterbesoldung ist grundsätzlich Ländersache, d.h. die Besoldung variiert von Bundesland zu Bundesland. Der Deutsche Richterbund hat eine Tabelle (Stand Dezember 2018) veröffentlicht, die einen Überblick über die unterschiedlichen Besoldungshöhen im Bund und in den Bundesländern ermöglichen soll.

In Niedersachsen gilt derzeit folgende Besoldungstabelle:

Für Richter und Staatsanwälte gilt die Besoldungsordnung R. Berufseinsteiger werden nach der Besoldungsgruppe R1 bezahlt. Das „Einstiegsgehalt“ für einen ledigen Richter bzw. eine ledige Richterin beträgt in Niedersachsen derzeit € 4.327,49 brutto. Wenn ich das durch einen Brutto-Netto-Rechner laufen lasse, komme ich auf einen Nettobetrag von rund 3.250,- €. Das R1-Endgehalt von € 6.719,10 entspricht einem Jahresbrutto von rund € 80.629,-. Es liegt der Höhe nach zwischen den Besoldungsgruppen A15 und A16.

Wenn man die Besoldung von Richtern und Staatsanwälten im Verhältnis zum Einkommen angestellter Juristen einordnen will, muss man wissen, dass anders als bei Arbeitnehmern keine Sozialversicherungsbeiträge (Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung) in Abzug gebracht werden, sondern nur Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag. Andererseits muss sich ein Richter teilweise privat kranken- und pflegeversichern, denn die Beihilfe deckt in Niedersachsen nur 50% bis 70% der Heilbehandlungs- und Arzneimittelkosten ab.

Was heißt das nun konkret? Ausweislich meiner Gehaltsabrechnung für Juni 2018 hatte ich (Erfahrungsstufe 8) ein Gesamtbrutto (inkl. Familienzuschlag) von € 5.891,58, woraus sich nach Abzug von Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag ein Auszahlungsbetrag von € 4.786,21 ergab. Davon musste ich noch meine private Krankenversicherung bezahlen. Unter Verwendung eines Brutto-Netto-Rechner habe ich grob überschlagen, dass ich „draußen“, also als „normaler“ Arbeitnehmer, ein Jahresgehalt von rund € 81.500 hätte erzielen müssen, um auf mein seinerzeitiges Nettogehalt zu kommen.

Die Strafrechtsklausur mit staatsanwaltschaftlicher Aufgabenstellung

Strafrechtsklausuren haben bei Referendarinnen und Referendaren keinen guten Ruf. Die Gründe sind vielfältig, aber durchaus behebbar. Weder im materiellen Recht noch im Prozessrecht wird Unmögliches verlangt, wenn man bzw. frau sich vernünftig vorbereitet. Selbst für eingefleischte Zivilrechtler und ÖffRecht-Junkies gibt es überhaupt keinen Grund, am Strafrecht zu verzweifeln! Auch der Aufbau einer Strafrechtsklausur mit staatsanwaltschaftlicher Aufgabenstellung ist kein Hexenwerk.

Das Landesjustizprüfungsamt Niedersachsen hat dankenswerterweise eine Reihe von Merkblättern für die verschiedenen Klausurtypen veröffentlicht, darunter ein sehr ausführliches Merkblatt für die Strafrechtsklausur mit staatsanwaltschaftlicher Aufgabenstellung, das die wichtigsten Aufbaufragen beantwortet und darüber hinaus auch Hinweise zu den Themen Schwerpunktsetzung, Verwendung von Urteils- und Gutachtenstil, Darstellung von Meinungsstreitigkeiten etc. enthält. Obwohl es sich hierbei um eine äußerst hilfreiche Handreichung handelt, ist sie meiner Erfahrung nach vielen Referendarinnen und Referendaren nicht bekannt. Das muss sich ändern!

Klausuraufbau ist kein Hexenwerk – dem LJPA sei Dank!

Für niedersächsische Referendare ist dieses Merkblatt absolute Pflichtlektüre! Und zwar nicht erst am Vorabend der Klausur, sondern rechtzeitig, d.h. bevor die strafrechtlichen Übungsklausuren geschrieben werden, denn die Umsetzung des Inhalts muss trainiert werden.

Meiner Einschätzung nach können auch Kandidatinnen und Kandidaten aus anderen Bundesländern von dem Merkblatt profitieren, denn viele Informationen sind universell gültig. Dies gilt u.a. für folgenden Hinweis zum Thema Zeitnot: „Die Arbeit muss sich auf die wesentlichen Gesichtspunkte beschränken. Nur durch Konzentration auf das Wesentliche bzw. eine zutreffende Schwerpunktbildung wird es gelingen, innerhalb der Bearbeitungszeit einen verwertbaren praktischen teil zu erstellen.“ Hinsichtlich der Einzelheiten des Klausuraufbaus muss der Inhalt natürlich mit den jeweiligen regionalen Vorgaben und Gepflogenheiten abgeglichen werden! Ich freue mich über Hinweise auf vergleichbare Merkblätter aus anderen Bundesländern und werde sie ggfs. gerne hier veröffentlichen!

Abschließender Hinweis für Niedersachsen:
Die nächsten strafrechtlichen Kaiser Seminare in Hannover finden am 11. und 12.01.2019 (materielles Strafrecht – mit mir) und am 04. und 05.04.2020 (Die Staatsanwaltsklausur – mit Staatsanwalt Golo Osthoff) statt .

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Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang beim Raub mit Todesfolge

Nach dem jüngsten Ausflug in die leichte Unterhaltung kehren wir heute wieder ins seriöse Fach zurück. In einer gerade veröffentlichten Entscheidung hat sich der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH, 24.05.2019, 2 StR 469/18) damit beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen ein sog. tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang gesteht, der für eine Verurteilung gemäß § 251 StGB erforderlich ist. ReferendarInnen aufgepasst: der Beschluss schreit geradezu danach, Teil einer Examensklausur zu werden!

Das Landgericht Köln hat den Angeklagten am 28.02.2018 wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Auf die Revision des Angeklagten hat der BGH das Urteil im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem schweren Raub (also nicht in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge) verurteilt wird. Die weitergehende Revision des Angeklagten hat der Senat als unbegründet verworfen. Auch dieser „Revisionserfolg“ – nach fast eineinhalb Jahren(!) – dürfte beim Angeklagten keine Begeisterungsstürme entfacht haben!

Was war passiert? Nach den Feststellungen war der Angeklagte in die Wohnung des Geschädigten eingedrungen und hatte diesen zur Herausgabe von Geld und Wertgegenständen aufgefordert. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, hatte er dem Tatopfer – in einer ersten Phase des Tatgeschehens – Faustschläge ins Gesicht versetzt, dennoch aber weder Geld erhalten noch finden können. Deshalb hatte er sich entschlossen, die Gewalteinwirkung zu intensivieren und seinem Opfer mit einer Zange mindestens einmal auf den Hinterkopf geschlagen, was zu einer blutenden, aber nicht lebensgefährlichen Kopfverletzung geführt hatte. Nach weiterer vergeblicher Suche hatte der Angeklagte erkannt, dass sein Plan, Beute zu machen, gescheitert war und dass damit seine finanzielle Misere fortbestehen würde. Aus Wut hierüber hatte er nunmehr in einer zweiten Phase des Tatgeschehens mit jedenfalls bedingtem Tötungsvorsatz massiv mit der Zange auf das Tatopfer eingeschlagen, wodurch dieses u.a. Impressionsbrüche beidseits des Hirnschädels, Brüche beider Augenhöhlendächer, einen Jochbeinbruch rechts, einen Abbruch des Oberkiefers von der knöchernen Schädelbasis sowie stark nach innen blutende Gesichtsschädelverletzungen im Bereich der Mundregion erlitten hatte. Sodann hatte er dem rücklings auf seinem Bett zu liegen gekommenen Opfer entweder durch mehrfaches Springen oder durch gewaltsames Niederknien Rippenserienbrüche, Abbrüche von Lendenwirbeln, Brüche am Brustbein und am Schulterblatt sowie eine Lungenanspießungsverletzung zugefügt. Dem Angeklagten war bewusst gewesen, dass die Intensität dieser Gewalteinwirkung über das für eine Tötung erforderliche Maß hinausgegangen war und dass sein Opfer unter massiven Schmerzen und Todesangst gelitten hatte. Der Angeklagte hatte sodann die Wohnung des Geschädigten verlassen, ohne etwas mitzunehmen; das Opfer war etwa eine halbe Stunde später an den Folgen der in der zweiten Tatphase zugefügten Verletzungen verstorben.

Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang?

Der BGH hat zu diesem Geschehen angemerkt, dass das Raubdelikt und das Tötungsdelikt – anders als vom LG Köln angenommen – in Tatmehrheit zueinander stehen dürften und dazu ausgeführt: „Gleichwohl hat die Annahme des Landgerichts, zwischen dem Vermögens- und dem Tötungsdelikt bestehe Tateinheit, Bestand; sie beschwert den Angeklagten hier nicht.“

Dass es sich beim dem tateinheitlich (?) begangenen Raubdelikt nicht um einen versuchten Raub mit Todesfolge, sondern „nur“ um einen versuchten schweren Raub gehandelt, hat der Senat wie folgt begründet: „Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte nicht wegen versuchten Raubes mit Todesfolge, sondern wegen versuchten schweren Raubes (§§ 249, 250 Abs. 1 Nr. 1b, §§ 22, 23 StGB) strafbar gemacht. Die dem Opfer in der zweiten Phase des Tatgeschehens zugefügten tödlichen Verletzungen waren nicht mehr durch die Raubtat verursacht. Wer beim Versuch eines Raubes mindestens leichtfertig den Tod eines Menschen verursacht, ist wegen versuchten Raubes mit Todesfolge (§§ 249, 251, 22, 23 Abs. 1 StGB) zu bestrafen. Dies gilt auch dann, wenn der Täter den Tod vorsätzlich herbeigeführt hat. Allerdings kann im Hinblick auf die deutlich erhöhte Strafdrohung in § 251 StGB von einer „wenigstens leichtfertigen“ Todesverursachung „durch die Tat“ nur dann ausgegangen werden, wenn nicht nur der Ursachenzusammenhang im Sinne der Bedingungstheorie gegeben ist, sondern sich im Tod des Opfers tatbestandsspezifische Risiken verwirklichen, die typischerweise mit dem Grundtatbestand einhergehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dieser besondere qualifikationsspezifische Zusammenhang unter Berücksichtigung des Wortlauts und des Schutzzwecks der Norm auch dann gegeben, wenn die den Tod des Opfers herbeiführende Handlung zwar nicht mehr in finaler Verknüpfung mit der Wegnahme steht, sie mit dem Raubgeschehen aber derart eng verbunden ist, dass sich in der Todesfolge die der konkreten Raubtat eigentümliche besondere Gefährlichkeit verwirklicht, was auch noch in der Beendigungsphase des Raubes in Betracht kommen kann. Hiervon ausgehend ist der von § 251 StGB geforderte Gefahrzusammenhang etwa dann bejaht worden, wenn die mit dem Einsatz der Nötigungsmittel zur Wegnahme regelmäßig verbundene Konfrontation mit dem Opfer dazu führt, dass das Opfer sich zum Zweck der Tatverhinderung und/oder der Ergreifung des Täters zur Wehr setzt und der Täter darauf mit tödlicher Gewalt reagiert, wenn der Täter nach der Wegnahmehandlung zur Sicherung der Beute oder seiner Flucht Gewalt anwendet und dadurch den Tod eines anderen verursacht, wenn mit dem Nötigungsmittel ausgeführte Gewalteinwirkungen dazu dienten, das Tatopfer zum Schweigen zu bringen und dadurch eine Entdeckung der Tat zu verhindern, wenn aus der Befürchtung entdeckt zu werden oder aufgrund anspannungsbedingter Fehleinschätzung ein nichtiger Anlass oder ein Missverständnis zu einem Gewaltausbruch des Täters gegenüber dem Opfer führt oder wenn sich bei einer räuberischen Erpressung unter Verwendung einer Schusswaffe die Gefahr der Eskalation durch den – dann tödlichen – Gebrauch der Waffe verwirklicht, weil das Opfer die Forderungen des Täters nicht erfüllt. Ob an dieser Rechtsprechung in jeder Hinsicht festzuhalten ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn auch nach ihr kann sich der von § 251 StGB geforderte besondere qualifikationsspezifische Zusammenhang nicht mehr realisieren, wenn bei der zum Tode führenden Gewaltanwendung der Raub bzw. die räuberische Erpressung bereits beendet war . Dem steht es gleich, wenn der Raub bzw. die räuberische Erpressung lediglich versucht und zum Zeitpunkt der tödlichen Gewalteinwirkung die Erlangung einer Tatbeute aus Sicht des Täters bereits endgültig gescheitert war. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – anders als in dem mit Beschluss vom 13. August 2002 (3 StR 204/02, aaO) entschiedenen Fall – der Täter mit der dann tödlich verlaufenden Gewalteinwirkung auf das Tatopfer erst beginnt, nachdem aus seiner Sicht die Erlangung der erstrebten Beute durch keine Handlungsalternative mehr verwirklicht werden kann, eine Fortsetzung der Tat als (versuchtes) Vermögensdelikt also nicht mehr in Betracht kommt. So verhält es sich nach den getroffenen Feststelllungen hier: Als sich der Angeklagte zur Tötung seines Opfers entschloss, nahm er an, in der Wohnung des Opfers seien weder Geld noch Wertgegenstände zu finden, seine finanzielle Misere würde fortbestehen. Bei dieser Sachverhaltskonstellation waren die zugefügten tödlichen Verletzungen nicht mehr durch die Raubtat im Sinne des § 251 StGB verursacht.

Oder in ganz knappen Worten: wenn es zur Anwendung tödlicher Gewalt kommt, obwohl die Beute bereits in Sicherheit ist oder der Täter nicht mehr mit der Erlangung einer Beute rechnet, wird kein Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB) draus – und zumeist werden die Taten in Tatmehrheit (§ 53 StGB) zueinander stehen.

„In feindlicher Willensrichtung“ – alles aus Liebe?

Heimtückisch tötet, wer „in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt“. Was aber bedeutet „feindliche“ bzw. „feindselige“ Willensrichtung“? Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH, 19.06.2019, 5 StR 128/19, www.bundesgerichtshof.de) gibt Auskunft.

„Nach den Feststellungen des Schwurgerichts tötete der Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 17. Juni 2018 seine schlafende Ehefrau, indem er ihr mit einem schweren Hammer neun wuchtige Schläge gegen den Kopf versetzte.“ Das klingt erstmal ziemlich heimtückisch, weil Schlafende – so der BGH seit rund 50 Jahren – regelmäßig „ihre Arglosigkeit mit in den Schlaf nehmen“.

Hammer gegen Kopf = in feindlicher Willensrichtung?

Das Landgericht Dresden fand dennoch einen Weg an der Rechtsfolge des § 211 StGBlebenslange Freiheitsstrafe – vorbei und verhängte eine Freiheitsstrafe von „nur“ 13 Jahren. Es argumentierte, der Angeklagte habe in dem Glauben getötet, zum Besten seines Opfers zu handeln. Damit fehle es an einer Tötung in feindlicher Willensrichtung und somit an der Heimtücke, der Angeklagte habe „nur“ einen Totschlag gem. § 212 StGB begangen. Einziges Tatmotiv des Angeklagten sei gewesen, seiner Ehefrau durch die Tötung ein Leben im finanziellen Ruin zu ersparen, insbesondere die für wahrscheinlich gehaltene Wohnungskündigung und die Sperrung des Stromanschlusses bei Wegfall seiner Einkünfte ohne Aussicht, eine neue Stellung zu erhalten. Andere – naheliegende – Möglichkeiten wie die Stellung eines erneuten Insolvenzantrages, den Gang zur Schuldnerberatung, verbunden mit einer weitgehenden Offenbarung der finanziellen Verhältnisse gegenüber seiner Ehefrau, habe er nicht ernsthaft erwogen, so das Landgericht.

Wie es dem Angeklagten und der Verteidigung gelungen ist, das Schwurgericht von einer derart altruistischen Motivation zu überzeugen, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich war bei der Hauptverhandlung nicht zugegen. Belassen wir es dabei: die Feststellungen zu treffen, ist die ureigenste Aufgabe und Verantwortung des Tatrichters. Und dessen Schlussfolgerungen müssen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGH, 10.04.2019, 1 StR 646/18, zitiert nach juris).

Diesen Grundsätzen folgend hat der BGH die Feststellungen bestehen lassen. Zur Frage der feindlichen Willensrichtung ist er trotzdem anderer Auffassung als das Landgericht. Dazu heißt es im Urteil: „Einer heimtückischen Tötung kann die feindselige Willensrichtung […] grundsätzlich nur dann fehlen, wenn sie dem ausdrücklichen Willen des Getöteten entspricht oder – aufgrund einer objektiv nachvollziehbaren und anzuerkennenden Wertung – mit dem mutmaßlichen Willen des zu einer autonomen Entscheidung nicht fähigen Opfers geschieht. Ansonsten hat ein Schuldspruch wegen Mordes zu erfolgen. Anschließend ist zu prüfen, ob aufgrund ganz besonderer schuldmindernder Gesichtspunkte in Anwendung der Grundsätze der Entscheidung des Großen Senats ausnahmsweise eine Berücksichtigung des besonderen Tatmotivs auf der Rechtsfolgenseite geboten ist. Nach diesen Maßstäben und den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Schwurgerichts liegt nahe, dass der Angeklagte seine Ehefrau in feindseliger Willensrichtung und damit heimtückisch getötet hat. Trotz ihrer körperlichen und seelischen Gebrechen war die Getötete nach den Feststellungen des Landgerichts nicht derart beeinträchtigt, dass sie zu einer autonomen Willensbildung und -äußerung nicht mehr in der Lage gewesen wäre. Dass die Tötung – auch in dieser besonders brutalen Form – mit ihrer Einwilligung geschehen wäre, ist ebenfalls nicht festgestellt.“

Das bedeutet: wenn Sie erwägen, jemanden zu töten, weil Sie ihm oder ihr die mögliche Wiederwahl von Donald Trump, eine weitere Zweitliga-Saison des HSV oder die Umstellung von Sommer- auf Winterzeit ersparen wollen, müssen Sie vorher grundsätzlich fragen, ob der oder die auf diese Weise Umsorgte das für eine gute Idee hält. Anderenfalls handeln sie zwar in tatsächlicher Hinsicht wohlmeinend, rechtlich hingegen in feindlicher Willensrichtung. Und: lassen sie sich das Einverständnis besser schriftlich geben, denn nicht jedes Schwurgericht ist bereit, alles zu glauben!

Zeitumstellung als Tötungsmotiv?

Im Ernst: gespannt sein darf man darauf, ob das neue Tatgericht und ihm ggfs. nachfolgend der BGH im vorliegenden Fall zur Anwendung der sog. „Rechtsfolgenlösung“ kommt, die beim Heimtückemord ausnahmsweise die Verhängung einer zeitigen anstelle der gesetzlich vorgesehen lebenslangen Freiheitsstrafe ermöglicht. Nach den Feststellungen, die ja aufrechterhalten worden sind, erscheint das durchaus möglich.

Das mehraktige Tötungsgeschehen – man stirbt nur einmal!

„Es ist mitunter gar nicht so einfach, einen Menschen zu töten!“ pflegt ein der Kammer bekannter Rechtsmediziner zu sagen. Das mehraktige Tötungsgeschehen, also das mehrfache Ausüben von im Ergebnis tödlicher Gewalt, ist das Resultat davon. Nachdem gerade erst von „Thorben The Hammer“ die Rede war, der mit einem einzigen Faustschlag – unabsichtlich – sein unglückliches Gegenüber ins Jenseits befördert hatte, mag das erstaunen. Tatsächlich erweist sich jedoch immer wieder, dass der menschliche Körper weit mehr aushält, als man glaubt. Wer ohne nennenswerte anatomische Kenntnisse zur Tat schreitet und allein seinen durch Fernsehkrimis erworbenen „Kenntnissen“ vertraut, wird sich nicht selten wundern und mehrere

So wird es auch in einem unlängst vom BGH entschiedenen Fall gewesen sein, in dem der erheblich alkoholisierte spätere Angeklagte aus Wut mehrmals mit einem Messer auf den Hals- und Nackenbereich des rücklings auf einem Sofa seiner Wohnung liegenden Geschädigten eingestochen hatte, um ihn zu töten. Der Geschädigte blutete stark und war tödlich verletzt. Der Angeklagte verließ die Wohnung und äußerte gegenüber einer Bekannten „Ich habe ihn aufgeschlitzt!“. Die Bekannte lief daraufhin in die Wohnung des Angeklagten, wo sie den Geschädigten schwer verletzt, aber noch lebend, vorfand. Der Angeklagte, der ihr gefolgt war, brachte die Sache nun zu Ende, indem er dem Geschädigten in Küchenmesser in die Herzregion stach.

Der BGH hatte die Frage zu klären ob es sich um eine Tat gehandelt hat oder – wovon das Landgericht Lübeck ausgegangen war – um zwei Taten. Dazu heißt es in der Entscheidung (BGH, 24.01.2019, 5 StR 480/18, StV 2019, 448): „Bei einem mehraktigen Tatgeschehen liegt eine Tat im Rechtssinne vor, wenn zwischen gleichgelagerten, strafrechtlich erheblichen Betätigungen ein derart unmittelbarer Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengehöriges Tun darstellt, und die einzelnen Handlungen durch ein subjektives Element miteinander verbunden sind. Ein zeitlicher Abstand zwischen den Einzelakten steht der Annahme einer Tat im Rechtssinn dann entgegen, wenn dieser erheblich ist und einen augenfälligen Einschnitt bewirkt. Eine Handlungseinheit endet spätestens mit dem Fehlschlag eines Versuchs, von dem der Täter nicht mehr strafbefreiend zurücktreten kann. Danach sind die Angriffe des Angeklagten auf das Leben des Geschädigten als eine Tat im Rechtssinn (§ 52 StGB) zu werten. Zwischen den von einem einheitlichen Tötungsvorsatz getragenen Handlungen lag lediglich eine Zeitspanne von einigen Minuten, während der sich der Angeklagte in der einen Stock über dem Tatort gelegenen Wohnung des Zeugen Pi.   aufhielt. Der unmittelbare Zusammenhang zwischen den Messerangriffen wurde auch nicht durch die Entdeckung der Tat durch die Zeugin Pie.  und deren Versuch unterbrochen, Hilfe zu holen. Denn die Äußerung des Angeklagten nach dem ersten Handlungsabschnitt („Ich habe ihn aufgeschlitzt“) belegt augenfällig, dass die Tatentdeckung für ihn ohne jeden Belang war und deshalb objektiv betrachtet keinen erheblichen Einschnitt in dem Geschehen bildete. Eine Zäsur nach dem ersten Handlungsabschnitt ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines fehlgeschlagenen Versuchs gegeben, da der Angeklagte die Tat mit einem ihm als Tatmittel zur Hand liegenden Küchenmesser ohne erhebliche zeitliche Zäsur vollenden. Der Messerstich in das Herz des Opfers stellt damit – auch aus der Sicht eines Dritten – keinen neuen selbständigen Angriff auf dessen Leben dar, sondern den abschließenden Akt eines einheitlichen Geschehens, mit dem der Angeklagte den Geschädigten „endgültig“ töten wollte.“

Obwohl der BGH die Zahl seiner Taten halbiert hat, dürfte die Entscheidung beim Angeklagten keine große Freude ausgelöst haben. Weniger Strafe – das Landgericht Lübeck hatte auf eine Gesamtstrafe von 9 Jahren erkannt – gab es im Ergebnis nämlich nicht. Lass wir noch einmal den 5. Senat zu Wort kommen: „Die Änderung des Schuldspruchs hat den Fortfall der vom Landgericht festgesetzten Einzelstrafen zur Folge. Der Senat kann jedoch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die Gesamtstrafe als Einzelstrafe bestehen lassen. Er schließt aus, dass das Landgericht allein aufgrund der geänderten Konkurrenzverhältnisse eine niedrigere Strafe verhängt hätte, weil eine unterschiedliche rechtliche Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses angesichts des unveränderten Schuldumfangs kein maßgebliches Kriterium für die Strafbemessung ist.“  Der Angeklagte hat also einen Pyrrhussieg errungen, teuer erkauft und für ihn ohne Wert, ein nicht untypisches Ergebnis im Revisionsverfahren.

Nicht mehr Glück hatte der Angeklagte im sog. „Scheunen-Mord-Fall“ (BGH, 03.12.2015, 4 StR 223/15, NStZ 2016, 721), bei sich ebenfalls die Frage stellte, ob es sich um eine Tat oder um zwei Taten gehandelt hatte. Was war passiert? Der Angeklagte hatte seinen Kumpel mindestens dreimal mit einer schweren Eisenstange auf den Hinterkopf geschlagen und schwer verletzt. Auch in diesem Fall wäre das Opfer früher oder später an den Verletzungen gestorben, lebte aber zunächst noch. Der Angeklagte verließ den Tatort, kehrte nach einiger Zeit jedoch zurück – und fand den Geschädigten zu seiner Überraschung noch immer lebend vor. Um den Geschädigten nun endgültig vom Leben zum Tode zu befördern, schnitte er „mit erheblicher Kraftentfaltung den Hals über eine Länge von 11,5 cm bis zur Wirbelsäule durch, wobei er das Messer mindestens zweimal ansetzen musste“. Die Jugendkammer des Landgerichts Paderborn hatte den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Eisenstange) und wegen Totschlags (Messer) zu einer einheitlichen Jugendstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der BGH sah das anders und ging von einem einheitlichen Geschehen aus, das von den Schlägen bis zum Durchscheiden des Halses reiche und einen vollendete Heimtückemord darstelle. Dass das Opfer den ersten Angriff überlebt habe, sei nur eine „unwesentliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf“. Das Urteil der Jugendkammer wurde mit den Feststellungen aufgehoben und zur Neuverhandlung zurückverwiesen, der Ausgang des Verfahrens ist mir nicht bekannt.

Klar ist aber: wäre der Täter nach nicht nach Jugendrecht, sondern nach „normalem“ Strafrecht zu verurteilen gewesen, wäre ihm die eine Tat (Mord = lebenslange Freiheitsstrafe) höchstwahrscheinlich teurer zu stehen gekommen als zwei Taten (versuchter Mord und vollendeter Totschlag = wohl zeitige Gesamtfreiheitsstrafe). Weniger Taten bedeuten also auch in diesem Fall nicht weniger Strafe!

Körperverletzung mit Todesfolge – „Tödliches Wiesn-Gebalze“

Heute stieß ich im Onlineangebot der Süddeutschen Zeitung auf einen Artikel über eine Körperverletzung mit Todesfolge, der mich an ein einige Jahre zurückliegendes Verfahren erinnerte. Spontan musste ich an „Thorben The Hammer“ denken – so haben wir den Angeklagten seinerzeit kammerintern genannt. „Thorben The Hammer“ (kurz: TTH) hatte in der niedersächsischen Kleinstadt Munster mit einem einzigen Faustschlag gegen den Kopf seinem schwer alkoholisierten Gegenüber tödliche Verletzungen beigebracht. Ähnlich wie im „Wiesn-Fall“ – die inhaltliche Richtigkeit des Artikels unterstellt – führte der Schlag zu einem Abriss von Blutgefäßen. Unglücklicherweise waren es diejenigen, die dafür zuständig waren, das Blut aus dem Gehirn wieder abfließen zu lassen. Dies führte dazu, dass das Gehirn des Geschädigten fortlaufend mit Blut vollgepumpt wurde und immer weiter anschwoll. Die Ärzte in der Medizinischen Hochschule Hannover sahen schließlich keine andere Möglichkeit mehr, dem Gehirn Platz zu verschaffen, als die Schädeldecke abzusägen. Trotz allem Bemühungen starb der Geschädigte wenige Tage später.

Natürlich stelle sich die Frage, ob TTH mit Tötungsvorsatz gehandelt hatte. Ein Tötungsmotiv war nicht feststellbar, die beteiligten Männer waren alkoholisiert spontan und aus nichtigem Anlass in Streit geraten. Eine absichtliche Tötung schied also offensichtlich aus. Schwieriger zu entschieden war da schon die Frage nach dem bedingten Tötungsvorsatz, für den es ausreicht, wenn der Täter den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt und dies billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet. Hatte TTH die Lebensgefährlichkeit seines einen Faustschlags gegen den Kopf erkannt? Wir konnten das seinerzeit nicht mit der erforderlichen Sicherheit bejahen und nahmen nur einen Körperverletzungsvorsatz an. Der Gesetzgeber hatte uns diese Entscheidung relativ leicht gemacht, ist doch der Strafrahmen der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) mit Freiheitsstrafe nicht unter 3 Jahren (d.h. zwischen 3 und 15 Jahren) nur unwesentlich niedriger als der des Totschlags (§ 212 StGB), der eine Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren (d.h. zwischen 5 und 15 Jahren) vorsieht.

Der Unterschied zwischen den beiden Tatbeständen liegt darin, dass der Totschläger die die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs erkannt haben muss. Für den Täter des § 227 StGB reicht es hingegen aus, dass er die Möglichkeit des Todeserfolgs im Ergebnis hätte erkennen können, weil er nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung liegt. Einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es dabei nicht (BGH, 26.01.2017, 3 StR 479/16, NStZ 2017, 410). Dass ein kräftig ausgeführter Faustschlag gegen den Kopf zu tödlichen Verletzungen führen kann, zeigt sich in der Praxis – der „Wiesn-Fall“ belegt es – immer wieder. Außerhalb jeder Lebenserfahrung liegt eine solche Folge also nicht. Und so verurteilten wir den zerknirschten TTH wegen Körperverletzung mit Todesfolge.

Erwähnenswert ist noch die Polizeiarbeit am Tatort: während die Polizeibeamten Zeugen befragten und Spuren sicherten, trat „Thorben The Hammer“ mit den Worten „Ich bin der, den Sie suchen!“ auf die Beamten zu. Diese Störung brachte ihm – man glaubt es kaum – nicht etwa die vorläufige Festnahme, sondern einen Platzverweis ein…

Sterbehilfe – ist der „assistierte Suizid“ erlaubt?

Sterbehilfe in Form des „assistierten Suizids“ ist Gegenstand zweier aktueller Entscheidungen des BGH. Wer bei passender Gelegenheit mit einem Zitat aufwarten möchte, kann es mit folgendem versuchen: „Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist.“ Zugegeben, diese Sätze stammt nicht aus den vielbeachteten Entscheidungen des 5. („Leipziger“) Senats vom 03.07.2019 (5 StR 182/18 und 5 StR 393/18), sondern aus einer rund zweieinhalb Jahren älteren Entscheidung des 4. Senats (BGH, 24.11.2016, 4 StR 289/16, NStZ 2017, 219).

Neuer Versuch: „Ausgehend davon umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln. Dabei beschränkt sich der Grundrechtsschutz nicht auf Fälle, in denen infolge des Endstadiums einer tödlichen Krankheit der Sterbeprozess bereits begonnen hat oder unmittelbar bevorsteht. Die verfassungsrechtlich gebotene Achtung vor dem persönlichen Umgang des Einzelnen mit Krankheit und dem eigenen Sterben schließt auch die freiverantwortlich getroffene Entscheidung schwer kranker Menschen ein, ihr Leben vor Erreichen der Sterbephase oder losgelöst von einem tödlichen Krankheitsverlauf beenden zu wollen.“ Aktuelle BGH-Rechtsprechung zur Sterbehilfe? Mitnichten, diese Aussagen stammen vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, 02.03.2017, 3 C 19/15, NJW 2017, 2215).

Aber jetzt vielleicht: „Eine eigenverantwortlich verwirklichte Selbsttötung per Medikamentencocktail erfüllt nicht den Tatbestand eines Tötungsdelikts (hier § 212 Abs. 1 oder § 216 Abs. 1 StGB), wenn der angeschuldigte Arzt zwar die tödlichen Medikamente mitbringt und die Dosierung bestimmt, die Tatherrschaft aber uneingeschränkt bei den Sterbewilligen liegt, indem sie die Medikamente selbst in Wasser lösen, die Gläser mit den gelösten Medikamenten selbst zum Mund führen und dann selbst trinken, d.h. den lebensvernichtenden Akt eigenhändig ausführen. Eine strafbare Beihilfe zum Totschlag gemäß § 212 Abs. 1, § 27 StGB oder zur Tötung auf Verlangen gemäß § 216 Abs. 1, § 27 StGB scheidet angesichts tatbestands- und strafloser Haupttat nach dem Grundsatz der limitierten Akzessorietät aus.“ Klingt gut, stammt aber vom OLG Hamburg (HansOLG, 08.06.2016, 1 Ws 13/16, NStZ 2016, 530).

Auch der Gesetzgeber hat längst erkannt, dass das deutsche Rechtssystem darauf verzichtet, „die eigenverantwortliche Selbsttötung unter Strafe zu stellen, da sie sich nicht gegen einen anderen Menschen richtet und der freiheitliche Rechtsstaat keine allgemeine, erzwingbare Rechtspflicht zum Leben kennt. Dementsprechend sind auch der Suizidversuch oder die Teilnahme an einem Suizid(-versuch) straffrei.“ (Deutscher Bundestag, Drucksache 18/5373 vom 01.07.2015). Mit anderen Worten: Die Entscheidungen des 5. Senats vom 03.07.2019 liegen voll auf der Linie des BGH und anderer Obergerichte, sie sind weder bahnbrechend noch überraschend.

Selbst der Gesetzgeber (s.o.) hat sie kommen sehen – und genau da liegt das Problem. Es ist nämlich keineswegs so, dass – wie eine ehemalige Bundesministerin der Justiz behauptet – nunmehr „Rechtssicherheit“ herrsche beim Thema „Sterbehilfe“. Stattdessen hängt die Frage nach der Strafbarkeit nicht nur von der Fähigkeit des Sterbewilligen ab, frei und eigenverantwortlich über die Beendigung seiner irdischen Existenz zu entscheiden – was im Einzelfall nachträglich mitunter schwer aufzuklären sein kann – sondern auch davon,
a) wann die Sterbehilfe geleistet wurde,
b) ob sie „geschäftsmäßig“ geleistet wurde,
c) ob der seit dem 10.12.2015 geltende § 217 StGB verfassungsgemäß ist.

Der Reihe nach: die Entscheidungen vom 03.07.2019 betreffen Fällen, die sich vor dem 10.12.2015 ereignet haben. Erst seit diesem Tag stellt § 217 StGB die „Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe, d.h. die Entscheidungen sind zu einer nicht mehr geltenden Rechtslage getroffen worden. Der Strafrahmen des § 217 StGB sieht Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe vor. Die Selbsttötung zu fördern bedeutet, dem Sterbewilligen eine Gelegenheit hierzu zu gewähren, verschaffen oder vermitteln.

Geschäftsmäßig im Sinne der Vorschrift handelt, „wer die Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung der Gelegenheit zur Selbsttötung zu einem dauernden oder wiederkehrenden Bestandteil seiner Tätigkeit macht, unabhängig von einer Gewinnerzielungsabsicht und unabhängig von einem Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit.“ (Deutscher Bundestag, Drucksache 18/5373 vom 01.07.2015). Der Gesetzgeber hat also haupt- und ehrenamtliche „Sterbehelfer“ im Visier, weil er befürchtet, „durch die zunehmende Verbreitung des assistierten Suizids könnte der „fatale Anschein einer Normalität“ und einer gewissen gesellschaftlichen Adäquanz, schlimmstenfalls sogar der sozialen Gebotenheit der Selbsttötung entstehen und damit auch Menschen zur Selbsttötung verleitet werden, die dies ohne ein solches Angebot nicht täten.“

Das vorläufig letzte Wort hat das demnächst das Bundesverfassungsgericht, dass bereits im April 2019 über Verfassungsbeschwerden gegen § 217 StGB verhandelt hat. Sterbehilfe in Deutschland – Rechtssicherheit sieht anders aus….

Der Tötungsvorsatz und die „Hemmschwellentheorie“

Mord und Totschlag sind sog. Vorsatzdelikte, d.h. Mörder und Totschläger kann nur derjenige sein, der bei Begehung der Tat mit Tötungsvorsatz gehandelt hat. Heutzutage hat Vorsatz mit planerischem Vorgehen nur am Rande etwas zu tun. Wer eine lange geplante Tat ausführt, handelt vorsätzlich. Aber auch ohne Planung, also spontan, kann man sowohl Mord als auch Totschlag begehen. Das war nicht immer so: nach dem Strafgesetzbuch von 1871 war Mörder, wer „die Tödtung mit Ueberlegung ausgeführt hat“, während der Totschläger „die Tödtung nicht mit Ueberlegung ausgeführt hat“. In beiden Fällen musste der Täter vorsätzlich gehandelt haben, ohne dass gesetzlich geregelt war, was dies voraussetzt.

In Deutschland unterscheiden Juristen drei Formen des Vorsatzes: wer sein Opfer töten will, handelt mit Tötungsabsicht („dolus directus 1. Grades“). Derjenige, der sicher davon ausgeht, dass sein Opfer versterben wird, aber kein Interesse an dessen Tod hat, handelt mit direktem Tötungsvorsatz („dolus directus 2. Grades“). Wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet (Wollenselement), mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein, handelt mit bedingtem Tötungsvorsatz („dolus eventualis“ – Eventualvorsatz) (BGH, 24.04.2019, 2 StR 377/18, zitiert nach juris). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten.

Wichtig – und gerade in jüngster Zeit immer wieder Gegenstand von Revisionsentscheidungen des Bundesgerichtshofs – ist außerdem, dass der Vorsatz im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung vorliegen muss; fasst der Täter den Vorsatz erst später („dolus subsequens“), kommt eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat nicht in Betracht. Dieser Umstand führte u.a. zur Aufhebung des Urteils im „Berliner Autoraserfall“. Der Bundesgerichtshof (BGH, 01.03.2018, 4 StR 399/17, NStZ 2018, 409) hatte erkannt: „Dass der Tötungsvorsatz ab einem Zeitpunkt vorlag, als die tödliche Kollision bereits nicht mehr zu verhindern war, ist für die Annahme eines vorsätzlichen Tötungsdelikts rechtlich bedeutungslos.“

In der Praxis spielen fast nur die Tötungsabsicht und der Eventualvorsatz eine Rolle, wobei letzterer immer wieder Gegenstand leidenschaftlicher Argumentationen ist, vor allem, wenn das Opfer die Tat überlebt hat. Nicht selten weist die Verteidigung in derartigen Fällen als erstes auf das fehlende bzw. nicht sicher feststellbare Tötungsmotiv hin, was indes – selbst wenn sich das Gericht dieser Einschätzung anschließt – nur die Tötungsabsicht, nicht aber den bedingten Tötungsvorsatz entfallen lässt. Denn der Eventualvorsatz zeichnet sich gerade dadurch aus, dass dem Täter der Tod seines Opfers gleichgültig oder gar unerwünscht ist, ein Tötungsmotiv ist nicht erforderlich! Entscheidend für das Gericht ist die im Urteil ausführlich darzustellende „Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände“, d.h. die Persönlichkeit des Täters und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung müssen ebenso erwogen werden wie seine Motivation und nicht zuletzt die konkrete Angriffsweise, denn die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ist ein wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes. Das bedeutet für die Praxis: je gefährlicher eine Tathandlung und je offensichtlicher die Gefahr eines tödlichen Ausgangs ist, desto eher wird bedingter Tötungsvorsatz anzunehmen sein. Ein Messerstich in den Hals oder in die Herzregion beispielsweise ist – auch medizinischen Laien bekannt – hochgefährlich. Nicht viel weniger gefährlich kann ein Stich in den Oberschenkel sein, wo ähnlich wie im Hals große Blutgefäße verlaufen, deren Verletzung binnen kurzer Zeit zu einem tödlichen Blutverlust führen kann. Dieses Wissen wird man indes bei vielen Tätern nicht voraussetzen können, denn im Fernsehen stirbt niemand an einem Stich ins Bein…

Eine „Hemmschwellentheorie“, die mitunter als letzter Strohhalm herhalten muss, um den auf der Hand liegenden bedingten Tötungsvorsatz doch noch irgendwie in Frage zu stellen, gibt es übrigens nicht. Was es gibt, ist eine Tötungshemmschwelle, die allerdings bei manchen Menschen offensichtlich nicht sonderlich stark ausgeprägt ist, hätte sie doch anderenfalls die lebensgefährliche Tathandlung unterbunden. Mit den Worten des Bundesgerichtshofs (BGH, 05.04.2018, 1 StR 67/18, NStZ-RR 2018, 371) ausgedrückt gilt: „Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der gebotenen Gesamtschau auf eine „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ abgestellt worden ist, erschöpft sich dies in einem Hinweis auf die Bedeutung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) bezüglich der Überzeugungsbildung vom Vorliegen eines (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatzes. Der Bundesgerichtshof hat stets betont, dass durch den Aspekt der „Hemmschwelle“ die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges, auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen nicht in Frage gestellt oder relativiert werden solle.“