Die Unterbringung gemäß § 63 StGB – alles hat ein Ende!

Willkommen zu einem kleinen Ausflug ins Strafvollstreckungsrecht. In diesem Beitrag soll es um die Frage gehen, wann und unter welchen Umständen eine gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte Person wieder auf freien Fuß kommen kann. Dass die Unterbringung grundsätzlich unbefristet ist und deshalb bisweilen etwas überspitzt als „das wahre Lebenslang“ bezeichnet wird, ist an anderer Stelle bereits erläutert worden.

Idealerweise endet die Unterbringung im Maßregelvollzug damit, dass die Maßregel nach erfolgreicher Behandlung gemäß § 67d Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt wird, weil zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Wenn dies – aus welchen Gründen auch immer – nicht gelingt, stellt sich mit zunehmender Dauer der Unterbringung immer drängender die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Unterbringung, die in § 62 StGB ausdrücklich vorgeschrieben ist.

Mit dem „Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften“ vom 8. Juli 2016 wollte der Gesetzgeber auf eine immer weiter steigende Zahl von Maßregelpatienten und eine immer längere durchschnittliche Verweildauer reagieren. Im Koalitionsvertrag war diesbezüglich vereinbart worden: „Wir reformieren das Recht der strafrechtlichen Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern, indem wir insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stärker zur Wirkung verhelfen.“

Umgesetzt wurde dies durch eine Änderung von § 67d Abs. 6 StGB, der die Anforderungen an die vom Untergebrachten ausgehende Gefahr in zwei Schritten erhöht:

Dauert die Unterbringung 6 Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen rein wirtschaftliche Schäden (die als Anlass für eine Unterbringung nach § 63 StGB vernünftigerweise ohnehin nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen) eine über die Dauer von 6 Jahren hinausgehende Fortdauer der Unterbringung in der Regel nicht rechtfertigen können. „Erheblich“ im Sine des Gesetzes sollen drohende Verbrechen sein sowie Vergehen, die mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind, einen hohen Schweregrad aufweisen und den Rechtsfrieden empfindlich stören. Bei reinen Körperverletzungsdelikten etwa soll der Schweregrad an den zu erwartenden Tatfolgen festgemacht werden können. Reine „Bagatellverletzungen“ wie Prellungen und Hämatome sollen nicht reichen, Knochenbrüche und Gehirnerschütterungen hingegen schon. Die Negativformulierung „wenn nicht die Gefahr besteht“ impliziert ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, das die Erledigung der Maßregel nicht von einer positiven Prognose, sondern ihre Fortdauer von einer negativen Prognose abhängig macht.

Sind 10 Jahre der Unterbringung vollzogen, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Damit wird auf der zweiten Stufe der Maßstab des Rechts der Sicherungsverwahrung für die Zehn-Jahres-Prüfung nach § 67d Absatz 3 Satz 1 StGB übernommen. Nicht mehr ausreichend ist damit, wenn nur noch die Gefahr besteht, dass der Täter rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer in die „Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden“. Die bloße „Gefahr“ einer „Gefahr“ kann nach so langer Zeit eine weitere Unterbringung also nicht mehr rechtfertigen.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG 07.02.2019, 2 BvR 2406/16, zitiert nach juris) verlangt in jedem Einzelfall die Prüfung, ob und welche Art rechtswidriger Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit und Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Dabei ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren; die Art und der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten ist zu bestimmen; deren bloße Möglichkeit vermag die weitere Maßregelvollstreckung nicht zu rechtfertigen. Bei allem ist auf die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls einzugehen. Zu erwägen sind das frühere Verhalten des Untergebrachten und von ihm bislang begangene Taten. Abzuheben ist aber auch auf die seit der Anordnung der Maßregel veränderten Umstände, die für die künftige Entwicklung bestimmend sind. […] Bleibt das Bemühen des Richters um Zuverlässigkeit der Prognose trotz Ausschöpfung der zu Gebote stehenden Erkenntnismittel mit großen Unsicherheiten behaftet, so hat auch dies Eingang in seine Bewertung zu finden.“

Das bedeutet für die Strafvollstreckungskammern, dass sie nach dem Grundsatz „in dubio pro libertate“ zukünftig viele Unterbringungen für erledigt erklären müssen, obwohl bzw. gerade weil unklar ist, ob der Untergebrachte nach 15, 18 oder 21 Jahren im Maßregelvollzug noch allgemeingefährlich ist. Manche der hiervon betroffenen Untergebrachten werden sich darüber zweifellos freuen. Für andere, die stark hospitalisiert und zu einer eigenständigen Lebensführung aufgrund ihres körperlichen und/oder psychischen Zustands kaum in der Lage sind, wird es eher einen Verlust an Sicherheit und Fürsorge bedeuten. Hinzu kommt, dass privatwirtschaftlich organisierte Alten- und Pflegeheime sich mit der Aufnahme von „Risikopatienten“ naturgemäß schwertun. Psychisch kranke Brandstifter und Sexualstraftäter beispielsweise sind ausgesprochen schwer vermittelbar. Wenn noch eine Intelligenzminderung und/oder eine Suchtproblematik hinzukommen, ist die Suche nach einem geeigneten Heimplatz fast aussichtslos. Es ist bereits vorgekommen, dass Verteidiger darauf angetragen haben, ihren Mandanten trotz offensichtlich fehlender Verhältnismäßigkeit nicht kurzfristig „auf die Straße zu setzen“. Aber drohende Obdachlosigkeit allein ist natürlich kein Grund, die „außerordentlich beschwerende“ Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufrechtzuerhalten.