Lebenslang für versuchten Mord?

Dass der vollendete Mord – sofern keine Milderungsgründe, wie z.B. eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB, vorliegen – mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu ahnden ist, folgt aus § 211 Abs. 1 StGB.

Was aber ist mit dem versuchten Mord? Gemäß § 23 Abs. 2 StGB kann der Versuch milder bestraft werden als die vollendete Tat. Wenn das Gericht von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist ein Strafrahmen von 3 bis 15 Jahren Freiheitsstrafe eröffnet (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Das ist immer noch eine Menge Holz, aber für den Angeklagten trotzdem weit weniger einschneidend als „lebenslang“.

Dazu folgendes Beispiel: Der A wird wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 1 StGB kann diese Strafe nach zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn zwei Drittel verbüßt sind, also nach 8 Jahren. Wird A hingegen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, sind kommt gemäß § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB eine bedingte Entlassung erst in Betracht, wenn 15 Jahre verbüßt sind.

Die Bedeutung der Entscheidung, ob die Strafe gemäß § 23 Abs. 2 StGB gemildert wird, ist also von enormer Tragweite und wird vom Bundesgerichtshof als Revisionsgericht überprüft. Dabei gilt nach ständiger Rechtsprechung: „Über eine Verschiebung des Strafrahmens wegen Versuchs ist auf Grund einer Gesamtschau aller schuldrelevanten Umstände zu entscheiden. Dabei hat das Tatgericht neben der Persönlichkeit des Täters die Tatumstände im weitesten Sinne und dabei vor allem die versuchsbezogenen Gesichtspunkte, insbesondere die Nähe zur Tatvollendung, die Gefährlichkeit des Versuchs und die eingesetzte kriminelle Energie, umfassend zu würdigen“ (BGH, 22.11.2017, 2 StR 166/17, NStZ-RR 2018, 102). Der Bundesgerichtshof verlangt eine „sorgfältige Abwägung“ unter Einbeziehung auch der den Angeklagten entlastenden Umstände (BGH, 15.06.2004, 1 StR 39/04). Angesichts der einschneidenden Folgen der Entscheidung versteht sich das eigentlich von selbst. In der Praxis ist zu beobachten, dass in den weitaus meisten Fällen von der Milderungsmöglichkeit Gebrauch gemacht wird. Lebenslange Freiheitsstrafe für versuchten Mord ist also die Ausnahme.

Ein Selbstgänger ist die Strafrahmenverschiebung dennoch nicht! Darüber müssen sich der Angeklagte und sein Verteidiger im Klaren sein. Je nach Lage der Dinge kann es sich daher anbieten, durch eine frühzeitiges und vorbehaltloses Geständnis, kombiniert mit einer ausdrücklichen Entschuldigung beim Geschädigten und möglicherweise der Zahlung eines Schmerzensgeldes „Punkte zu sammeln“, also für strafmildernde Faktoren zu sorgen. Anderenfalls droht unter Umständen eine böse Überraschung. So erging es vor einigen Jahren einem Angeklagten, der drei seiner Nachbarn mit einer 9mm-Pistole beschossen und des versuchten Mordes in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Verstoß gegen das Waffengesetz, schuldig gesprochen worden war.

Die Kammer (Landgericht Lüneburg, 13.02.2015, 27 Ks 11/14) führte in den Urteilsgründen aus: Bei der Tat zum Nachteil des Nebenklägers P. hat die Kammer von der Milderungsmöglichkeit gem. §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB hingegen keinen Gebrauch gemacht. Dabei ist der Kammer bewusst gewesen, dass im Falle eines Versagens einer Strafrahmenverschiebung bei der Androhung lebenslanger Freiheitstrafe besonders sorgfältig unter Berücksichtigung der tat- und täterbezogenen Merkmale abgewogen werden muss. Es lassen sich jedoch insoweit keine Umstände feststellen, die ein Abweichen von der ungeminderten Strafandrohung zuließen. Für eine Strafrahmenverschiebung hätte ein Geständnis sprechen können, welches der Angeklagte jedoch nicht abgelegt hat. Der Angeklagte hat auch sonst weder Einsicht noch Reue, ja nicht einmal Bedauern gezeigt. Bis zum Schluss der Hauptverhandlung hat er darauf beharrt, dass der Nebenkläger G. die Schuld für die Taten, auch die zum Nachteil von K.G. und R. P., trage. Wörtlich erklärte er: „In erster Linie denke ich an mich. Ich bin nur froh, dass mir nichts passiert ist.“ Gegen den Angeklagten – und damit gegen eine Strafrahmenverschiebung – sprechen die langfristige Tatplanung und -vorbereitung sowie extreme Gefährlichkeit seines Handelns. Nur durch eine an ein Wunder grenzende glückliche Fügung traf keiner der zwei aus nächster Nähe abgegebenen Schüsse den hilflos am Boden liegenden Nebenkläger P. tödlich in den Kopf. Der Angeklagte hat kaltblütig und ohne menschliche Regung versucht, sein Opfer auf offener Straße hinzurichten. Hinzu kommen die tateinheitlich begangenen Körperverletzungs- und Waffendelikte, die Vorstrafe und – anders als bei den Nebenklägern G. – die erheblichen Verletzungen, die der Angeklagte dem Nebenkläger zufügte. Zwar bestand keine akute Lebensgefahr, aber die Folgen der Tat sind so schwer, dass der Nebenkläger bis heute unter ihnen leidet und aller Voraussicht nach noch mindestens ein weiteres Jahr leiden wird. Auch das Nachtatverhalten des Angeklagten, der sich unmittelbar nach den vermeintlich tödlichen Schüssen auf den Nebenkläger P. dem nächsten wehrlosen Opfer, nämlich der Nebenklägerin G. zuwandte, ist strafschärfend zu berücksichtigen, so das auch unter Berücksichtigung der besonders einschneidenden Wirkung einer lebenslangen Freiheitsstrafe in der Gesamtschau eine Milderung des Strafrahmens und eine Verurteilung des Angeklagten zu einer zeitigen Freiheitsstrafe aus Sicht der Kammer unvertretbar erscheint, weshalb für diese Tat eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen war. Gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 StGB war als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.“

An dieser Begründung hatte der Bundesgerichtshof nicht auszusetzen und verwarf die Revision des Angeklagten als offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).