YGBSM-You Gotta Be Shittin‘ Me! (Teil 1)

Herzlich Willkommen zu YGBSM, dem sommerlichen Double Feature wider den tierischen Ernst unter dem Motto „Dumm gelaufen, aber strafbar!“. In Teil 1 geht es um einen glücklosen Räuber, in Teil 2 werden Sie mit zwei untalentierten (Beinahe-)Mördern Bekanntschaft machen. Selbstverständlich handelt es sich um Originalfälle, die ich vor dem Landgericht Lüneburg zu verhandeln das Vergnügen (?) hatte.

You Gotta Be Shittin‘ Me!

Der angeklagte Sachverhalt klang zunächst nicht nach Ironie oder Situationskomik. Einem jungen Mann wurde vorgeworfen, eine Prostituierte in einem „Love-Mobil“ überfallen zu haben. Die beiden Leser, die nicht wissen was das ist, können sich bei Wikipedia informieren. Die Tat sollte er unter drohender Verwendung eine Selbstladepistole begangen haben, weshalb eine versuchte besonders schwere räuberische Erpressung (§§ 253, 255, 250 Abs. 2, 22 StGB) in Tateinheit mit einem Verstoß gegen § 52 WaffG angeklagt war.

Wenige Tage vor Beginn der Hauptverhandlung kam ich ins Zimmer meines Vorsitzenden, der auf einen Karton auf seinem Schreibtisch zeigte und sagte: „Da ist das Asservat in der Love-Mobil-Sache, hat die Polizei vorbeigebracht!“. Aus der leicht zerfledderten Umverpackung lugte eine durchsichtige Plastiktüte hervor, die ich neugierig herauszog – und stutzte. Die Pistole war groß, schwarz und wog so gut wie nichts. Um eine scharfe Waffe konnte es sich unmöglich handeln, selbst das Verschießen von Platzpatronen oder Gaskartuschen traute ich ihr nicht zu. Jeder Druck, der über den einer Wasserpistole hinausging, musste das fragile Gebilde auf der Stelle zum Platzen bringen. Ungläubig schauten wir auf die Beschriftung – Irrtum ausgeschlossen, dass sollte tatsächlich die Tatwaffe sein. Schnell kamen wir überein, einen Waffensachverständigen vom Landeskriminalamt hinzuzuziehen – glücklicherweise hatte der Zeit und Lust auf einen Ausflug in unsere pittoreske Kleinstadt an der Ilmenau.

Die Pistole war groß und schwarz und wog so gut wie nichts.

Die Hauptverhandlung begann mit einem offenkundig von Reue und Scham getragenen Geständnis. Der bis dato unbestrafte Angeklagte schilderte, wie er maskiert und mit der asservierten Pistole in der Hand an die hintere Tür des Wohnmobils (Love-Mobils) herangetreten sei und die dort tätige Dame mit den Worten „Gib mir Dein Geld!“ angesprochen habe. Diese sei mit den Worten „Ich hole Geld!“ nach vorne in Richtung Fahrersitz gegangen – und zu seiner Überraschung aus der Fahrertür gesprungen und auf die Straße gerannt. Dort habe sie in der typischen Dienstkleidung des horizontalen Gewerbes wild gestikulierend ein Auto angehalten, sei eingestiegen und weg gewesen. Er sei ob dieses Fehlschlags ziemlich bedröppelt zu seinem in der Nähe abgestellten PKW geschlichen und ebenfalls losgefahren. Nach einiger Zeit habe er dann das Gefühl gehabt, verfolgt zu werden. Er habe Panik bekommen, weil er befürchtet habe, der Zuhälter der Überfallenen sei hinter ihm her, um ihn „fertigzumachen“. Tatsächlich handelte es sich um einen Mann, der die Situation am Love-Mobil beobachtet und sich dazu entschlossen hatte, das Fahrzeug des Angeklagten zu verfolgen und dabei der Polizei telefonisch die jeweilige Position durchzugeben. Es entspann sich nun eine Verfolgungsjagd durch mehrere Landkreise, die schließlich an einer Polizeisperre am Suderburger Kreuz endete. Dort tat ein junger Polizeibeamter Dienst, den ich ob seiner Statur spontan „Hightower“ taufte. „Hightower“ hatte die Hosen voll, denn polizeiintern war von einem „bewaffneten Räuber auf der Flucht“ die Rede. Mit schlotternden Knien und gezogener Pistole ging er auf das Auto des Angeklagten zu und – wie es im Polizeideutsch so schön heißt – sprach diesen heraus. Am Ende waren beide froh, dass sich nicht noch versehentlich ein Schuss gelöst hatte – aus der Dienstpistole, versteht sich.

„Gib mir dein Geld!“

Die Tatwaffe stellte sich nämlich als vollkommen ungefährlich heraus. Es handele sich um eine Spielzeugpistole, so der Waffensachverständige. Man könne damit durch die Kraft einer Feder kleine Plastikkügelchen verschießen, es sei sozusagen eine Art moderne Erbsenpistole. Damit könne man niemanden verletzen, geschweige denn töten. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft war nicht überzeugt („Ich muss ja die Anklage verteidigen!“) und regte eine Demonstration an. Der Sachverständige nahm einen Pappkarton, ging 10 Schritte zurück, zielte und schoss. Die bogenförmige Flugbahn des Projektils endet mit einem leisen „Plopp“ am Karton. Dort waren keinerlei Schäden zu erkennen. Unlustig verlangte der Staatsanwalt eine Wiederholung des Experiments, die zum selben Ergebnis führte. Die besonders schwere räuberische Erpressung war damit passé.

Was dann folgte, war der denkwürdige Auftritt der Geschädigten. Nach Aktenlage Kindergärtnerin im Hauptberuf und deutsche Staatsangehörige mit dem Namen nach afrikanischen Wurzeln sprach sie – kein Deutsch! Also mussten wir in aller Eile einen Dolmetscher für die englische Sprache beschaffen, was in Lüneburg gar nicht so einfach ist. Nachdem es uns dann doch gelungen war, befragten wir sie insbesondere zu möglichen psychischen Tatfolgen, die sie verneinte. Es gehe ihr gut und wenn sie schnelles Geld brauche, miete sie sich auch weiterhin in Love-Mobilen ein. Als sie entlassen worden war, fiel ihr Blick erstmals auf den Angeklagten. Sie stutzte und drehte sich mit den Worten „Was it him?“ zu uns um. Unser Schulterzucken – wir wollten uns in dieser eigenwilligen Situation natürlich nicht befangen machen – quittierte sie mit „Oh, really?“. Dann ging sie zu ihm, klopfte ihm auf die Schulter („It’s allright, son!“) und verließ den Sitzungssaal.

Wir erkannten auf eine Strafbarkeit wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung (§§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 b), 22 StGB), nahmen einen minder schweren Fall im Sinne von § 250 Abs. 3 StGB an und verhängten eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung. Der Angeklagte hat unsere Erwartungen nicht enttäuscht, nach Ablauf der Bewährungszeit konnte die Reststrafe erlassen werden. Das ist doch mal eine gute Nachricht, oder? Und falls Ihnen eine gute Nachricht nicht reicht, habe ich noch eine weitere für Sie: Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (OVG Lüneburg, 26.11.2012, 9 LB 51/12, NVwZ-RR 2013, 531) hat entschieden, dass der Vermieter von „Love-Mobilen“ – anders als der Betreiber eines „Laufhauses“ – keine Vergnügungssteuer schuldet! In diesem Sinne – You Gotta Be Shittin‘ Me!

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Ein Gedanke zu „YGBSM-You Gotta Be Shittin‘ Me! (Teil 1)

  1. Absolut großartig. Ihre Geschichten schicke ich immer gerne an die Tochter eines Freundes, die Jura studiert und unbedingt Richterin werden sollte, in meinen Augen. Als Werbung.

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