„Die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe begegnet entgegen dem Revisionsvorbringen keinen Bedenken. Dabei kommt es auf Einzelheiten der Motivlage nicht entscheidend an: Ohne Rechtsfehler ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass der Ermordung ein politisches Motiv zugrunde lag. Jenseits des Widerstandsrechts aus Art. 20 Abs. 4 GG sind indes keine politischen Beweggründe zur Tötung eines Menschen denkbar, die sich nicht als niedrige Beweggründe im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB erweisen“ (BGH, 02.05.2018, 3 StR 355/17, NStZ 2019, 342). Mit diesen ebenso apodiktischen wie begründungslosen Worten zum Thema politisch motivierte Tötung hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Revision gegen ein Urteil des OLG München verworfen und ist hierfür u.a. von Engländer kritisiert worden.
Nicht zu Unrecht, denn die Entscheidung wirft die Frage auf, welche Beweggründe eigentlich politisch sind und welche nicht. Diese wiederum lässt sich nur beantworten, wenn geklärt ist, was „Politik“ bedeutet. Die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt: „Politik ist die „Staatskunst“. Sie regelt das geordnete Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger. Es geht in der Politik um alles, was mit Gestaltung und Einflussnahme in Gesellschaft zu tun hat, sowohl im persönlichen als auch im öffentlichen Bereich.“ Auf Wikipedia ist zu lesen: „Sehr allgemein kann jegliche Einflussnahme, Gestaltung und Durchsetzung von Forderungen und Zielen in privaten oder öffentlichen Bereichen als Politik bezeichnet werden.“ Das in der Schweiz beheimatete „Zentrum für Demokratie Aarau“ teilt mit: „Seit den frühen klassischen Politiklehren, beginnend mit Aristoteles, wird die Bestimmung von Politik immer wieder neu versucht. Doch ist bis heute keine wachsende Einigkeit über den Begriff von Politik erzielt worden. Ob Macht, Konflikt, Herrschaft, Ordnung, Gemeinwohl oder Friede die eigentliche Substanz von Politik seien, bleibt umstritten.“ Offenkundig lässt sich die Frage, was ein „politischer Beweggrund“ ist, also nicht ohne weiteres beantworten.
Für den Rechtsanwender ist umso bedauerlicher, dass der Senat von der Möglichkeit, diese Frage durch eine handhabbare juristische Definition zu klären, keinen Gebrauch gemacht hat. Ein Grund hierfür mag die Schwierigkeit des Unternehmens sein, ein anderer darin liegen, dass die Tatmotivation jedenfalls im Ergebnis eindeutig politischer Natur war, denn es ging letztlich um die (Macht-)Verhältnisse im früheren Jugoslawien. Zu deren Einordnung als „niedriger Beweggrund“ hat das OLG München ausgeführt: „Die Angeklagten sahen in S. D. einen Staatsfeind Jugoslawiens, der aus politischen Gründen liquidiert werden musste. Sie wollten als Mitarbeiter des kroatischen Geheimdienstes dadurch das sozialistische jugoslawische und kroatische Regime erhalten, das sich nach dem Tod von Staatspräsident Tito am 4. Mai 1980 in einer schweren Krise befand. S. D., der sich öffentlich gegen die dieser Gesellschaftsordnung zugrundeliegende Ideologie des Selbstverwaltungssozialismus stellte, sollte zum Schweigen gebracht werden. Er hatte sich bislang nicht als Terrorist betätigt. Anhaltspunkte dafür, dass er im Rahmen der politischen Auseinandersetzung zu gewalttätigen Mitteln greifen würde, lagen damals nicht vor. Etwaige Befürchtungen wegen seiner Kontakte zur Gruppe um L. K. in Augsburg waren allenfalls vorgeschoben, hatten aber keinen realen Hintergrund und lassen eine Tötung nicht in besserem Licht erscheinen. Das maßgebliche Motiv, einen Regimekritiker, der vom Ausland aus eine Selbstständigkeit Kroatiens vertritt und gegen den sozialistischen Staat Jugoslawien agitiert, deshalb zu töten, steht auf niedrigster Stufe. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Angeklagten überzeugt waren, zum Besten ihres Staates zu handeln. Auffassungen, die mit den Vorstellungen eines Rechtsstaates nicht vereinbar sind, können nicht in Betracht genommen werden.“
Diese Begründung liegt jedenfalls auf einer Linie mit der Rechtsprechung des BGH, der zufolge der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes „den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland“ zu entnehmen sei (BGH, 28.11.2017, 5 StR 480/17, NStZ 2018, 92) und nicht dem eines autoritären Regimes.
So lange es keine höchstrichterliche Definition des „politischen Beweggrundes“ gibt, mag man sich daran orientieren, dass mit den Worten von Engländer „eine Konzeption der Politik als entgrenztem Kampf mit allen Mitteln, die, wenn sie sich durchsetzte, in eine destruktive Anarchie oder gewalttätige Despotie münden müsste“, sittlich auf tieferster Stufe steht. Die politisch motivierte Tötung wird daher regelmäßig eine Verurteilung wegen Mordes zur Folge haben.