„Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.“ – so steht es in §32 StGB. Die Notwehr ist eine sog. „Rechtfertigungsgrund“, was bedeutet, dass derjenige, der in Notwehr einen anderen verletzt, nicht bestraft wird. „Notwehr ist ein scharfes Schwert!“ kriegen Studierende der Rechtswissenschaft seit Jahrzehnten zu hören. Soll heißen: wer in Notwehr handelt, um sich zu verteidigen, der darf den Angreifer unter Umständen sogar töten, wenn dies erforderlich ist. Dazu gilt nach ständiger Rechtsprechung (BGH, 13.09.2018, 5 StR 421/18, NStZ 2019, 136): „Ob eine Verteidigungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB erforderlich ist, hängt im Wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Dabei darf sich der Angegriffene nach gefestigter Rechtsprechung grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt. Dies schließt auch den Einsatz lebensgefährlicher Mittel ein. Zwar kann dieser nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen und darf auch nur das letzte Mittel der Verteidigung sein. Doch ist der Angegriffene nicht gehalten, auf die Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel zurückzugreifen, wenn deren Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang braucht er sich nicht einzulassen.“
Zu den absoluten Examensklassikern gehört die sog. „Notwehrprovokation“. Unter diesem Schlagwort werden verschiedene Fallgestaltungen zusammengefasst, die alle eines gemeinsam haben: der Beschuldigte hat den Angriff, gegen den er sich verteidigt, herbeigeführt. Die Spannbreite reicht von der „Absichtsprovokation“ (der Beschuldigte will angegriffen werden, um seinen Widersacher „in Notwehr“ zu töten) über die bis zur erlaubten Provokation (der Beschuldigte verhält sich rechtmäßig, rechnet aber mit einen Angriff seines Widersachers). Von den Examenskandidaten wird verlangt, dass sie die verschiedenen Abstufungen und die daraus folgenden Einschränkungen des Notwehrrechts beherrschen und auf den ihnen präsentierten Sachverhalt anwenden können.
Das ist nicht eben wenig verlangt – in einer aktuellen Entscheidung sah sich der 4. Senats des Bundesgerichtshofs (BGH, 17.01.2019, 4 StR 456/18, NStZ 2019, 263) dazu veranlasst, dem Landgericht Dortmund folgende Grundsätze ins Stammbuch zu schreiben: „Für die Fälle der Notwehrprovokation ist zu unterscheiden: Eine Absichtsprovokation begeht, wer zielstrebig einen Angriff herausfordert, um den Gegner unter dem Deckmantel einer äußerlich gegebenen Notwehrlage an seinen Rechtsgütern zu verletzen. In einem solchen Fall ist dem Täter Notwehr – jedenfalls grundsätzlich – versagt, weil er rechtsmissbräuchlich handelt, indem er einen Verteidigungswillen vortäuscht, in Wirklichkeit aber angreifen will.
Erfolgt die Provokation (nur) vorsätzlich, wird dem Täter das Notwehrrecht nicht vollständig und nicht zeitlich unbegrenzt genommen; es werden an ihn jedoch umso höhere Anforderungen im Hinblick auf die Vermeidung gefährlicher Konstellationen gestellt, je schwerer die rechtswidrige und vorwerfbare Provokation der Notwehrlage wiegt. Wer unter erschwerenden Umständen die Notwehrlage provoziert hat, muss unter Umständen auf eine sichere erfolgversprechende Verteidigung verzichten und das Risiko hinnehmen, dass ein minder gefährliches Abwehrmittel keine gleichwertigen Erfolgschancen hat.
Auch wenn der Täter den Angriff auf sich lediglich leichtfertig provoziert hat, darf er von seinem grundsätzlich gegebenen Notwehrrecht nicht bedenkenlos Gebrauch machen und sofort ein lebensgefährliches Mittel einsetzen. Er muss vielmehr dem Angriff nach Möglichkeit ausweichen und darf zur Trutzwehr mit einer lebensgefährlichen Waffe erst Zuflucht nehmen, nachdem er alle Möglichkeiten der Schutzwehr ausgenutzt hat; nur wenn sich ihm diese Möglichkeit nicht bietet, ist er zu der erforderlichen Verteidigung befugt.
Ein rechtlich gebotenes oder erlaubtes Tun führt hingegen nicht ohne weiteres zu Einschränkungen des Notwehrrechts, auch wenn der Täter wusste oder wissen musste, dass andere durch dieses Verhalten zu einem rechtwidrigen Angriff veranlasst werden könnten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine Notwehreinschränkung vielmehr voraus, dass die tatsächlich bestehende Notwehrlage durch ein rechtswidriges, jedenfalls aber sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten des Angegriffenen verursacht worden ist und zwischen diesem Vorverhalten und dem rechtswidrigen Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang besteht.“