Belastungszeugen – fragen ist Silber!

Die Befragung von Belastungszeugen ist für die Verteidigung ein heikles Unterfangen, bei dem es nicht selten mehr zu verlieren als zu gewinnen gibt. Der folgende Beitrag zeigt anhand von zwei Praxisbeispielen auf, wie man es besser nicht angeht!

Vor einigen Jahren, als wir neben Mord- und Totschlagsverfahren auch „normale“ Strafkammersachen verhandelten, kam folgender Sachverhalt zur Anklage: Zwei junge, drogenabhängige Männer hatten im Haus einer sehr betagten Frau eingebrochen, während diese auf ein Glas Eierlikör bei ihrer Nachbarin weilte. Als sie in ihr Haus zurückkam, bemerkte sie Licht in ihrem Schlafzimmer. Ihr erster Gedanke war: „Meine Schwiegertochter, das Aas, wühlt schon wieder in meinen Sachen!“ Da lag sie falsch, denn tatsächlich waren die Herren Einbrecher gerade dabei, den Inhalt ihres Schmuckkoffers zu sichten. Als sie die beiden Männer entdeckte, blieb sie im Türrahmen stehen und rief: „Was machen sie denn da?“ Daraufhin ergriffen die Täter den Schmuckkoffer und rannten an ihr vorbei durch die Tür – nicht ohne ihr dabei eine Ladung Reizgas ins Gesicht zu sprühen. Das Ganze erinnerte an Räuber Hotzenplotz und seine Pfefferpistole.

In der Hauptverhandlung räumten die Angeklagten die Tat ein, so dass wir die Geschädigte eigentlich nur zum Wert des Schmucks befragen wollten. Das war von Seiten des Gerichts und der Staatsanwaltschaft rasch abgehandelt, und obwohl die Geschädigte vom Verlust diverser Erb -und Familienstücke berichtete, erledigte sie ihre Zeugenpflicht zügig und ohne erkennbare Gefühlsregung. Als wir in Gedanken schon in der Mittagspause waren, schlug die Stunde eines der beiden Verteidiger. Mit einer einzigen, angesichts des bereits abgelegten Geständnisses völlig überflüssigen, Frage – „Erkennen sie meinen Mandanten wieder?“ – löste er bei der Zeugin einen emotionalen Dammbruch aus. Mit tränenerstickter Stimme erklärte sie, sie werde das Gesicht niemals vergessen. Dann berichtete sie schluchzend, welche Schmerzen ihr das Reizgas bereitet und wie sie tagelang befürchtet habe, nie wieder richtig sehen zu können. Über Monate habe sie ihr Haus aus Angst im Dunkeln nicht mehr verlassen, und bis heute habe sie wiederkehrende Panikattacken. Man kann sich vorstellen, welchen Eindruck dies bei den Schöffen hinterlassen hat. „Ist der Verteidiger wahnsinnig geworden?“ war die erste Frage am Mittagstisch. Die zweite Frage war die nach der Strafobergrenze…

In einem anderen, erst vor einigen Wochen abgeschlossenen Mordverfahren verbiss sich die Verteidigung regelrecht in einen Belastungszeugen – und erwies dem Angeklagten damit einen Bärendienst. Bei dem Zeugen handelt es sich um einen Softwareentwickler, der kurz davor gewesen war, mit der später Getöteten eine partnerschaftliche Beziehung einzugehen. Dass es dazu nicht mehr gekommen war lag daran, dass der Angeklagte seine getrennt lebende Ehefrau erstochen hatte. Der Beginn der Zeugenvernehmung gestaltete sich aus Sicht der Verteidigung durchaus vielversprechend, denn der Zeuge brachte stapelweise Bücher und Aufzeichnungen mit in den Zeugenstand und war nur schwer davon zu überzeugen, diese beiseite zu legen und allein seine Erinnerung zu bemühen. Nachdem dies schließlich gelungen war, verhielt er sich wie viele andere Zeugen auch: statt die ihm gestellten Fragen präzise zu beantworten, erzählte er lieber, was er für wichtig hielt. Gericht, Staatsanwaltschaft und Nebenklage hatten es nicht leicht mit ihm, aber der Mann war – sein Beruf lässt es erahnen – nicht dumm und durchaus lernfähig. Je länger ihn die Verteidigung befragte, desto sachlicher und präziser wurden seine Angaben. Nach eineinhalb Tagen (!) setzte die Verteidigung davon völlig unbeeindruckt zum Finale an. Eine im polizeilichen Abschlussbericht falsch verschriftete Textnachricht, deren Originalwortlaut sich an anderer Stelle in den Akten befand, sollte den Zeugen abschließend aufs Glatteis führen. Also hielt man ihm den falschen Wortlaut vor – und er erinnerte den richtigen. Die Verteidigung ließ nicht locker und wies mit Nachdruck darauf hin, dass im Abschlussbericht etwas anderes stehe. Der Zeuge legte die Stirn in Falten, dachte kurz nach und sagte: „Kann sein, ich bin mir aber trotzdem sicher, das es so war, wie ich eben gesagt habe!“ Dieses Spiel wiederholte die Verteidigung noch weiter zwei Male – mit dem selben Ergebnis. Diese eindrucksvolle Demonstration seiner Erinnerungsfähigkeit und Unbeirrbarkeit drehte den Eindruck, den die Kammer anfänglich von ihm gehabt hatte, endgültig ins komplette Gegenteil.

Und was lernen wir daraus? Ein bekannter Saxofonist würde sagen: „Funk is what you play, but it’s also what you don’t play!“

Anders ausgedrückt: bei Belastungszeugen kommt nicht nur auf die Fragen an, die man als Verteidiger stellt, sondern auch auf die, die man sich lieber verkneift. Die Schwierigkeit bei der Entscheidung „Fragen oder nicht fragen“ besteht darin, dass man den Zeugen, den man typischerweise nicht kennt, während der häufig relativ kurzen Befragung durch Gericht, Staatsanwaltschaft und evtl. Nebenklage richtig einschätzen und auf diesem Eindruck basierend entscheiden muss, ob und wie man ihn befragt. Man muss also in der Lage sein, das Geschehen in der Hauptverhandlung aufzunehmen, mit dem Akteninhalt abzugleichen und relativ spontan umzusetzen. Das ist alles andere als einfach und setzt ein gewisses Maß an Erfahrung voraus! Dennoch ist es hoch riskant, stattdessen ein vorbereitetes Fragenprogramm einfach „durchzuziehen“, weil die Gefahr besteht, dass es dem Angeklagten mehr schadet als nützt. Übrigens: einen Belastungszeugen, der sich erst durch die Befragung der Verteidigung als unglaubwürdig erweist oder gar filmreif „zusammenbricht“, habe ich bislang noch nicht erlebt.

7 Gedanken zu „Belastungszeugen – fragen ist Silber!

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  3. „Übrigens: einen Belastungszeugen, der sich erst durch die Befragung der Verteidigung als unglaubwürdig erweist oder gar filmreif „zusammenbricht“, habe ich bislang noch nicht erlebt.“
    Dieser Satz erhebt Sie als Strafverteidiger deutlich über viele Ihrer Kollegen, die genau mit diesem Unsinn prahlen (sogar Bestseller schreiben …).

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