Heimtücke erfordert keine Heimlichkeit!

Das tatbezogene Merkmal der Heimtücke gehört zu den praxisrelevantesten Mordmerkmalen. Heimtückisch handelt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wer „in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt“. Wesentlich sei, so der BGH, „dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Dabei kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen“ (BGH, 10.07.2018, 3 StR 204/18, StrFo 2019, 38).

Anders ausgedrückt: heimtückisch töten heißt töten unter bewusster Ausnutzung des Überraschungsmoments. Und das ist in Fällen, in denen der Täter sein Opfer töten will, schon deshalb sehr häufig der Fall, weil ein Vorgehen ohne Ausnutzung des Überraschungseffekts zumeist kaum Aussicht auf Erfolg hat. Man stelle sich vor, der bewaffnete Täter, der seinen Nebenbuhler mit einem Messer zu töten gedenkt, würde diesem ausreichend Zeit und Gelegenheit geben, sich auf den bevorstehenden Angriff einzustellen. Was würde der Nebenbuhler wohl unternehmen? Je nach Temperament weglaufen, um Hilfe rufen oder sich ebenfalls bewaffnen. Eines aber würde er höchstwahrscheinlich nicht tun: sich allein und unbewaffnet auf einen Kampf einlassen.

Auch hier gilt natürlich, dass Ausnahmen die Regel bestätigen. Das Lüneburger Schwurgericht hatte vor einiger Zeit einen Fall zu entscheiden, in dem ein junger Mann mit einem Messer auf einen anderen Mann losgegangen war und diesen verletzt hatte. Die Besonderheit lag darin, dass der Angreifer das Messer schon zuvor über einen längeren Zeitraum hinweg mehrfach drohend eingesetzt hatte, der Geschädigte also genau um die Bewaffnung seines Gegenübers wusste. Auf die Frage, ob er nicht hätte weglaufen können, antwortete der Geschädigte: „Klar hätte ich das! Aber ich bin Albaner, ich laufe nicht weg!“ Da war es auch aus Sicht der Staatsanwaltschaft um den Vorwurf des Heimtückemordes geschehen…      

Natürlich kann der Täter das Mordmerkmal der Heimtücke auch dadurch erfüllen, dass er sein Opfer mit Tötungsvorsatz in einen Hinterhalt lockt, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen. In derartigen – in der Praxis eher seltenen – Konstellationen kommt es entscheidend darauf an, dass die Vorkehrungen und Maßnahmen bei Ausführung der Tat noch fortwirken und das Opfer in seinen Verteidigungsmöglichkeiten einschränken. Dies ist vom Lüneburger Schwurgericht u.a. bejaht worden für die Tötung von Menschen in den Gaskammern von Auschwitz. Das Schwurgericht (27 Ks 9/14) hat seinerzeit ausgeführt: „Die Opfer wurden planmäßig mit Tötungsabsicht in einen Hinterhalt – die Gaskammer – gelockt, indem ihnen vorgespiegelt wurde, es gehe zum Duschen. Die Arglosigkeit der Opfer war den Tätern nicht nur bewusst, sondern nach dem Tatplan geradezu mitentscheidend für dessen erfolgreiche Umsetzung. Anschließend wurden die Türen von außen verriegelt, so dass die Opfer im wahrsten Sinne des Wortes in der Falle saßen. Mithin kommt es nicht entscheidend darauf an, ob einige von ihnen infolge des Verschließens der Türen möglicherweise Verdacht schöpften und bei Beginn der eigentlichen Tötungshandlung, dem Einwurf des „Zyklon B“, bereits einen Angriff auf ihr Leben befürchteten. Maßgeblich ist vielmehr die Arglosigkeit bei Betreten der Gaskammer.“ Der Bundesgerichtshof (BGH, 20.09.2016, 3 StR 49/16, NJW 2017, 498) hat dies bestätigt.

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