Vor einigen Wochen habe ich Beiträge über die Einstellungsvoraussetzungen und die Einstiegsgehälter für Richterinnen und Richter veröffentlicht. Außerdem habe ich über Verdienstmöglichkeiten für Berufseinsteiger im Anwaltsberuf berichtet. Heute lese ich bei lto.de einen Beitrag mit dem Titel „Wettbewerb mit fast ruinösen Zügen“, in dem der Präsident des OVG Rheinland-Pfalz, Lars Brocker, zu Wort kommt. Hat die Justiz Nachwuchssorgen?
Mit den Worten „Wir mussten mit den Ansprüchen an die Examnesnoten schon ein bißchen runtergehen“ beschreibt Brocker einen allgemeinen Trend. In vielen Bundesländern reichen 8 Punkte im zweiten Staatsexamen mittlerweile aus, um als Kandidatin bzw. Kandidat für die Einstellung als Richter oder Staatsanwalt ernsthaft in Betracht zu kommen, denn die wenigen Absolventen mit „Doppelprädikat“ sind heiß umworben. Unternehmen zahlen teilsweise das doppelte, Großkanzleien gar das dreifache dessen, was die Justiz als Einstiegsgehalt anzubieten hat. Vor diesem Hintergrund wirkt es beinahe putzig, unter Hinweis auf eine (geringfügig) höhere Besoldung in Hessen und Baden-Württemberg von einem „Wettbewerbsförderalismus“ mit „fast ruinösen Zügen“ zu sprechen.
Der eigentliche Wettbewerb um die Besten eine Jahrgangs findet nicht in erster Linie zwischen Bundesländern statt, sondern zwischen Justiz und Wirtschaft. „Richter sein muss man sich leisten können!“ sagte neulich ein befreundeter Jurist aus Hamburg, und er bezog das auf die dortigen Mieten und Grundstückpreise.
Und was ist mit der vielzitierten „Work-Life-Balance“ als Argument für den Justizdienst? Brocker hört den Begriff eigenen Angaben zufolge „ungern“ und argumentiert mit einer „hohen Präsenzkultur“, weil „viel in der Kammer“ entschieden werde. Das hat sicher seine Berechtigung, insbesondere für Berufseinsteiger ist der Kontakt zu erfahreren Kolleginnen und Kollegen wichtig. Nichts ist am Anfang schlimmer, als mit einem Berg Akten in einem Zimmer zu hocken und nicht zu wissen, wen man um Rat fragen kann. Außerdem ist eine „Work-Life-Balance“ gerade am Anfang einer Berufslaufbahn per se schwierig zu erreichen, weil es Anfängern zumeist an Erfahrung und damit an Arbeitsgeschwindigkeit fehlt. Aber: die „Work-Life-Balance“ gehört – zumindest als Perspektive – neben dem Streben nach Gerechtigkeit, der richterlichen Unabhängigkeit und der Planungssicherheit zu den zentralen „Pro-Justiz-Argumenten“. Sie unter Hinweis auf eine „Präsenzkultur“ zu negieren, dürfte die Zahl der hochqualifizierten Interessenten sicher nicht erhöhen!
Bleibt die Frage nach der Perspektive – quo vadis, Justiz? Wenn die Gehälter für hochqualifizierte JuristInnen immer weiter auseinanderdriften, wird es für den Staat naturgemäß immer schwerer, Richterstellen mit hochqualifiziertem Personal zu besetzen. Natürlich sind die Examensnoten nicht das Einzige, was eine gute Richterin oder einen guten Richter ausmacht. Aber der Justizdienst muss sich auch und gerade für kluge und ehrgeizige Nachwuchskräfte „lohnen“. Dazu gehört auch eine im Verhältnis zu anderen juristischen Berufen zumindest angemessene Besoldung, mag sie auch in „nackten“ Zahlen etwas hinter den Topgehältern zurückbleiben. Zu groß darf der Unterschied jedoch nicht werden! Anderenfalls könnte es eines Tages dazu kommen, dass sich nur noch diejenigen bewerben, die mit knapp überdurchschnittlichen Examina auf der Suche nach einem Job sind, wo sie – Stichwort „Work-Life-Balance“ – vermeintlich eine ruhige Kugel schieben können. Das kann ein Staat, der sich als Rechtsstaat versteht, nicht wollen!