Video-Verhöre kaum möglich?

Vor ein paar Tagen fiel mir zufällig die „Schweriner Volkszeitung“ vom 23.01.2020 in die Hände. Auf der ersten Seite prangte die Überschrift „Video-Verhöre kaum möglich“, versehen mit der Unterzeile „Seit 1. Januar neue Vorschriften bei Vernehmungen von Mordverdächtigen / Polizei sieht sich ungenügend gerüstet“. So etwas erregt naturgemäß meine Aufmerksamkeit. Ist – zumindest in Mecklenburg-Vorpommern – die Umsetzung der neu geregelten Bild-Ton-Aufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung in Gefahr?

Video-Verhöre kaum möglich?

Es existieren, so der Artikel, landesweit derzeit 5 Videovernehmungsräume bei der Polizei, 14 weitere seien „im Aufbau“. Das entspricht einer Fertigstellungsquote von guten 26%. Bei einem Gesetz, das am 23.08.2017 veröffentlicht wurde, ist das wahrlich kein Ruhmesblatt für das Innenministerium. Das nordöstlichste aller deutschen Justizministerien scheint, wenn man dem Artikel glauben darf, besser aufgestellt zu sein: alle vier Staatsanwaltschaften sollen zumindest über „funktionierende Übergangslösungen“ verfügen.

Die Regelung, in Kraft getreten am 1.1.2020, wurde am 23.8.2017 veröffentlicht!

Über die Gründe für die derzeitige Situation lässt sich der „Schweriner Volkszeitung“ nichts entnehmen. Möglicherweise haben die Verantwortlichen ja die Gesetzesbegründung gelesen und daraus den Schluss gezogen, dass man sich nicht sonderlich beeilen müsse. Denn ausweislich des Regierungsentwurfs (dort S. 27 unten) stellt § 136 Absatz 4 StPO nur eine „Ordnungsvorschrift“ dar. Für mich ehrlicherweise überraschend: Verstöße gegen diese Norm sollen nach dem gesetzgeberischen Willen weitgehend folgenlos bleiben! Im Gesetzentwurf heißt es dazu: „Bei Vorhandensein einer Videoaufzeichnung kann der Nachweis der Einhaltung der Vernehmungsformalitäten grundsätzlich leichter erbracht werden. Ist keine Videoaufzeichnung vorhanden, gelten die hergebrachten Grundsätze für die Feststellung der Einhaltung der Vernehmungsförmlichkeiten im Freibeweisverfahren; der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt grundsätzlich nicht (statt aller Schmitt, in: MeyerGoßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 58. Auflage 2015, § 136 Rn. 23; § 136a Rn. 32). Aus dem Fehlen einer audiovisuellen Aufzeichnung kann folglich nicht der Schluss gezogen werden, dass die Vernehmungsförmlichkeiten nicht eingehalten wurden oder ihre Einhaltung nicht mehr feststellbar sei. Auch im Übrigen führt das Fehlen einer audiovisuellen Aufzeichnung grundsätzlich nicht zur Unverwertbarkeit der Aussage im weiteren Verfahren, auch wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Voraussetzungen für eine Aufzeichnung vorgelegen haben.“

Nur eine „Ordnungsvorschrift“ – der neue § 136 Abs. 4 StPO!

Ob das wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, bleibt abzuwarten. Als Verteidiger wird man trotz der Gesetzesbegründung kaum umhinkommen, bei Verstößen gegen § 136 Abs. 4 StPO in geeigneten Fällen Verwertungswiderspruch zu erheben. Ob’s was nützt ist freilich ungewiss…

Ein Gedanke zu „Video-Verhöre kaum möglich?

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