Wenn der Todesengel kommt…

Immer wieder berichtet die Presse über sog. „Todesengel“, also Männer oder Frauen, die als Angestellte von Kliniken oder Pflegheimen unheilbar kranke Patienten und Patientinnen getötet haben sollen. Häufig bleiben derartige Taten jahrelang unbemerkt, die Zahl der Getöteten ist hoch, die Dunkelziffer noch höher, das Entsetzen der Angehörigen und das Interesse der Öffentlichkeit gewaltig. Bleibt die Frage nach der rechtlichen Einordnung solcher Handlungen – Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) oder gar Mord (§ 211 StGB)?

Die Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) setzt – nomen est omen – voraus, dass der Täter „durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden“ ist. Eigenmächtige Tötungen scheiden also von vorneherein aus. „Ernstlich “ im Sinne des Gesetzes ist ein Tötungsverlangen nur, wenn es auf fehlerfreier Willensbildung beruht. Der Bundesgerichtshof (14.09.2011, 2 StR 145/11, NStZ 2012, 85) verlangt: „Der seinen Tod verlangende Mensch muss dazu die Urteilskraft besitzen, um die Bedeutung und Tragweite seines Entschlusses zu überblicken und abzuwägen. Dem entsprechend ist einem Tötungsverlangen die Anerkennung im Sinne des Privilegierungstatbestands für den Täter zu versagen, wenn das Opfer durch eine Erkrankung in seiner natürlichen Einsichts- und Willensfähigkeit beeinträchtigt war und es deshalb die Tragweite seines Entschlusses, sich töten zu lassen, nicht überblickte. Unbeachtlich ist aber auch ein Tötungsverlangen in depressiver Augenblicksstimmung, zumindest wenn es nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen wird.“ Nach diesen Grundsätzen wird bei vielen Getöteten ein rechtlich relevantes Tötungsverlangen ausscheiden.

Wo es an einem ernstlichen Tötungsverlangen fehlt – sei es, dass überhaupt kein derartiges Verlangen geäußert worden ist oder dass der Getötete nicht mehr die erforderliche Einsichts- und Willensfähigkeit hatte – kommt eine Strafbarkeit wegen Totschlags (§ 212) oder Mordes (§ 211) in Betracht. Da die Getöteten zumeist nicht wissen, dass Ihnen durch die heimliche Gabe eines falschen oder zu hoch dosierten Medikaments der Tod bevorsteht, kommt das Mordmerkmal der Heimtücke in Betracht. Soweit es sich um bettlägerige oder sonst in ihren körperlichen und/oder geistigen Fähigkeiten erheblich eingeschränkte Opfer handelt, die per se wehrlos sind, stellt die Rechtsprechung beim Tatbestandsmerkmal der „auf Arglosigkeit beruhenden Wehrlosigkeit“ auf die Arglosigkeit des sog. „schutzbereiten Dritten“ ab. Mit den Worten des BGH (03.04.2008, 5 StR 525/07, StV 2009, 524) ausgedrückt: „Schutzbereiter Dritter ist jede Person, die den Schutz eines Besinnungslosen vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder es deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut. Voraussetzung ist jedoch, dass die Person den Schutz wirksam erbringen kann, wofür eine gewisse räumliche Nähe und eine überschaubare Anzahl der ihrem Schutz anvertrauten Menschen erforderlich sind.“ Soweit, so klar.

Schwieriger wird es schon beim Tatbestandsmerkmal der „feindlichen Willensrichtung“, denn hier trennen sich die Spreu vom Weizen oder genauer: der Totschläger vom Mörder. Entscheidend ist laut BGH (a.aO.), ob der Täter seine „Vorstellung über Würde und Wert des Lebens eines sterbenden Menschen durchsetzen“ will (dann feindliche Willensrichtung und damit Heimtücke) oder ob er aus individuellem Mitleid mit den schwerkranken Patienten“ handelt (dann keine feindliche Willensrichtung und damit keine Heimtücke).

Ist ersteres der Fall, schließt sich die Frage an, ob die Motivation zugleich ein weiteres Mordmerkmal erfüllt, nämlich einen niedrigen Beweggrund darstellt, also „nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – verachtenswert ist“. Allein der Wunsch bzw. die Anmaßung, „Gott gleich über Leben und Tod entscheiden zu wollen“ reicht hierfür nicht aus, denn das tut der Totschläger letztlich auch. Zur Selbstüberhöhung muss also noch etwas besonders verachtenswertes hinzutreten, z.B. dass fremdes Leben ohne Anlass (also ohne die unheilbare Erkrankung) als minderwertig betrachtet wird.

Im Ergebnis entscheidet also regelmäßig die vom Schwurgericht festzustellende Motivation über Mord und Totschlag und damit über lebenslange oder zeitige Freiheitsstrafe.

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