Wie lang ist lebenslang?

„Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft“, sagt § 211 Abs. 1 StGB. Nicht nur der Mörder, sondern gemäß § 212 Abs. 2 StGB auch der Totschläger, sofern ausnahmsweise ein „besonders schwerer Fall“ vorliegt. Auch andere Delikte, z.B. der Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB) oder die Brandstiftung mit Todesfolge (§ 306c StGB), können mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft werden. Bleibt die Frage – wie lang ist lebenslang? Das Gesetz schweigt dazu – jedenfalls kennt es keine zeitige Begrenzung. Es gibt weder eine gesetzliche Regelung zur Höchstdauer der lebenslangen Freiheitsstrafe noch zum Höchstalter des Inhaftierten. Im Ausgangspunkt muss man also feststellen: lebenslang heißt lebenslang! Oder doch nicht ganz?

Es gibt ja noch das Bundesverfassungsgericht, und dessen Entscheidungen „binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden“ (§ 31 Abs. 1 BVerfGG). Und das Bundesverfassungsgericht sagt in ständiger Rechtsprechung: „Mit der Garantie der Menschenwürde wäre es unvereinbar, wenn der Staat für sich in Anspruch nehmen würde, den Menschen zwangsweise seiner Freiheit zu entkleiden, ohne dass zumindest die Chance für ihn bestehen würde, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden.“ (BVerfG, 05.02.2004, 2 BvR 2029/01, NJW 2004, 739). Anders ausgedrückt: auch der zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Mörder muss zumindest die Aussicht haben, das Gefängnis lebend zu verlassen, weil man ihm ansonsten seine Menschenwürde nimmt. Und das verbietet Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“).

Wie also schützt das Gesetz die Menschenwürde desjenigen, der zu eine lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist? Die Antwort findet sich in § 57a StGB. Dort heißt es:

„Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn
1.fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
2.nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und
3.die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen.

In dieser Vorschrift findet sich also die sog. „Mindestverbüßungsdauer“ von 15 Jahren, die zu der ebenso verbreiteten wie unzutreffenden Annahme „lebenslang heißt 15 Jahre“ geführt hat. Richtig wäre stattdessen: „lebenslang heißt mindestens 15 Jahre“.

Wieso mindestens? Weil nach 15 Jahre erstmals geprüft wird, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, sofern nicht die besondere Schwere der Schuld eine Strich durch die Rechnung macht. Was es mit der besonderen Schuldschwere auf sich hat, soll an anderer Stelle erläutert werden. Voraussetzung für eine Strafaussetzung zur Bewährung ist gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StGB jedenfalls, dass sie unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann (sog. „günstige Sozialprognose“) und dass die verurteilte Person einwilligt. Mit anderen Worten: erst wenn festgestellt werden kann, dass vom Verurteilten keine Gefahr mehr ausgeht und er mit seiner bedingten Entlassung einverstanden ist, wird er aus der lebenslangen Haft entlassen. Das kann je nach Lage der Dinge auch erst nach 20, 25 oder 30 Jahren der Fall sein!