SOS – Schwätzer ohne Sachverstand

Im letzten Beitrag hatte ich über die zunehmende Knappheit an qualifizierten psychiatrischen Sachverständigen berichtet. Heute will ich erzählen, was ich unlängst mit einem Sachverständigen erlebt habe, der mir bis dato unbekannt war – und um den ich zukünftig einen großen Bogen machen werde. Ein SOS – Schwätzer ohne Sachverstand!

Das Verfahren liegt erst einige Monate zurück und spielte sich ausnahmsweise nicht im Schwurgericht ab, sondern in einer normalen großen Strafkammer, die in einer ungewöhnlichen Besetzung verhandelte. Sowohl der Vorsitzende, der mittlerweile pensioniert ist, als auch ich waren durch die Vertretungskette in die Kammer gelangt. Lediglich die zweite Beisitzerin gehörte zur Originalbesetzung. Der Grund hierfür lag darin, dass der Angeklagte gemäß § 126a StPO einstweilig in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht war und die Frist des § 121 StPO abzulaufen drohte, während zwei Drittel der Kammermitglieder im Urlaub weilten.

Vorgeworfen wurde Angeklagten eine gefährliche Körperverletzung zum Nachteil seiner Ehefrau, begangen im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit infolge einer dissozialen Persönlichkeitsstörung. Nach Durchführung der Beweisaufnahme stand fest, dass sich die Ehefrau von ihm hatte trennen wollen, womit er nicht einverstanden war. Um sie umzustimmen, bat er einen gemeinsamen Bekannten darum, zwischen ihm und seiner Ehefrau zu vermitteln. Zu diesem Zweck trafen sich die drei Personen in einer Bäckerei. Nachdem sich das Gespräch nicht in die von ihm gewünschte Richtung entwickelt hatte, geriet der Angeklagte in Wut und fügte seiner Ehefrau mit einem stumpfen Messer eine kleine Verletzung an der Wange zu. Anschließend stürmte er aus der Bäckerei und verschwand.

Es folgte – gleichsam als Abschluss der Beweisaufnahme – der Auftritt des psychiatrischen Sachverständigen, der anfangs durchaus sympathisch wirkte. Er berichtete von der Untersuchung des Angeklagten und dessen Angaben zu seinem Lebenslauf. Aufgewachsen sei der Angeklagte im Irak. Seine Familie sei dort so wohlhabend gewesen, dass er nicht habe arbeiten müssen. Dennoch habe sich der Angeklagte – aus welchen Gründen auch immer – gemeinsam mit seiner Ehefrau auf den Weg nach Europa gemacht. In der Türkei habe er eine Zeit lang in einer Autowerkstatt gearbeitet, bevor er über die Balkanroute nach Deutschland gelangt sei.

SOS – Schwätzer ohne Sachverstand?

Zur psychiatrischen Einordnung sei vorauszuschicken, dass das mit der Diagnose Persönlichkeitsstörung ja nicht so einfach sei. Zum einen sei die Abgrenzung zwischen Persönlichkeitsakzentuierung und Persönlichkeitsstörung im Einzelfall schwierig. Zum anderen müsse der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit dahingehend bewertet werden, ob das Eingangskriterium einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB erfüllt sei. Ich nickte innerlich und war mir sicher, das Ergebnis zu kennen: Persönlichkeitsakzentuierung ja, Persönlichkeitsstörung nicht sicher feststellbar, also kein Eingangskriterium und damit volle Schuldfähigkeit und keine Unterbringung gem. § 63 StGB. Derartiges erwarteten offensichtlich auch die übrigen Juristen im Saal, denen unisono die Gesichtszüge entglitten, also der Sachverständige sein Ergebnis präsentierte: ausgeprägte Persönlichkeitsstörung von der Qualität einer schweren anderen seelischen Abartigkeit, Steuerungsfähigkeit sicher erheblich vermindert, der Angeklagte sei allgemeingefährlich und ein Fall für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Der Vorsitzende befragte der Sachverständigen und konfrontierte ihn damit, dass der Angeklagte unbestraft und selbst nach Angaben seiner Ehefrau zuvor nie gewalttätig gewesen sei. Das ändere nichts, so der Sachverständige. Als mir das Wort erteilt wurde, versuchte ich, den Spieß umzudrehen und fragte, woran den nun die Persönlichkeitsstörung positiv festzumachen sei. Antwort: an der Tat und dem Umstand, dass der Angeklagte noch nie in seinem Leben gearbeitet habe, was Ausdruck seiner ausgeprägten Dissozialität sei. Meinen Einwand, dass dies ja wohl nicht ganz stimme – Stichwort Autowerkstatt in der Türkei – schob der Sachverständige lächelnd beiseite. Das sei ja nur von kurzer Dauer gewesen. Ich ließ nicht locker und wies darauf hin, dass der Angeklagte Irak ja eigenen Angaben zufolge nicht habe arbeiten müssen und dass er Deutschland gegenwärtig nicht arbeiten dürfe. Das einzige was sich änderte, war der Tonfall des Sachverständigen, der nun einen deutlich genervten Klang bekam.

Der Vorsitzende zog die Befragung nun wieder an sich und begann mit einem längeren Monolog, dessen Kernaussage sich ungefähr wie folgt zusammenfassen lässt: Aufgrund seiner jahrzehntelangen Berufserfahrung könne er schon aufgrund der Herkunft des Angeklagten mit Gewissheit sagen, dass Gewalt gegen die trennungswillige Ehefrau nicht Ausdruck einer psychischen Störung, sondern sozialadäquates Verhalten sei. In der Levante würden alle Männer, egal welcher ethnischen Herkunft und welches Glaubens, Christen, Juden, Muslime und Jesiden, ihre Ehefrauen züchtigen, wenn diese sich ihnen widersetzen. Ich wusste kaum noch, wo ich hinschauen sollte…

Gewalt als sozialadäquates Verhalten?

Erwartungsgemäß blieb der Sachverständige bei seiner Einschätzung und wir hatten ein Problem: wer schon einmal versucht hat, in einem Urteil von der Einschätzung des Sachverständigen unter Berufung auf eigene Sachkunde abzuweichen, wird im Regelfall keine Lust verspüren, derartiges zu wiederholen. Also verständigten wir uns darauf, die Oberärztin zu befragen, die in der Maßregelvollzugseinrichtung für den Angeklagten zuständig war. Auch der Sachverständige war von dieser Entscheidung angetan, zumindest behauptete er das.

Am nächsten Hauptverhandlungstag erschien diese Oberärztin und nahm im Zeugenstand Platz. Der Vorsitzende bat sie, der Verlauf der einstweiligen Unterbringung zu schildern und die aktuelle Diagnose mitzuteilen. Die Oberärztin berichtete über ein völlig unauffälliges Verhalten des Angeklagten über die letzte viereinhalb Monate hinweg, eine psychiatrische Diagnose sei aus ihrer Sicht nicht zu stellen. Von einer Persönlichkeitsstörung könne keine Rede sein, die einstweilige Unterbringung sei aus ihrer Sicht eine Fehlentscheidung.

Der einzige im Saal, der Fragen an die Zeugin stellte, was der psychiatrische Sachverständige, der im Anschluss mit schneidender Stimme erklärte, er bleibe bei seiner Einschätzung und anschließend schnaubend den Sitzungssaal verließ. Danach ging das Verfahren schnell und ruhig zu Ende. Der Angeklagte bekam eine Bewährungsstrafe, das Urteil wurde von keiner Seite angegriffen.

Wenn Gesetz und Wirklichkeit auseinanderdriften

Wenn Gesetz und Wirklichkeit auseinanderdriften, wird es für Rechtsanwender und Betroffene schwierig. Während der Gesetzgeber nicht zuletzt als Reaktion auf den sog. „Fall Mollath“ Maßregelpatienten in kürzeren Abständen (§ 463 Abs. 4 StPO) extern begutachten lassen will und das Bundesverfassungsgericht an die Begründung von Fortdauerentscheidungen hohe Anforderungen stellt, werden psychiatrische Sachverständige mit forensischer Erfahrung immer seltener – und Besserung ist nicht in Sicht!

Wenn Gesetz und Wirklichkeit auseinanderdriften…

Gut gemeint hat es der Gesetzgeber, daran besteht kein Zweifel. Ausgehend davon, dass sowohl die Zahl der gem. § 63 StGB in psychiatrischen Krankenhäusern untergebrachten Personen als auch deren durchschnittliche Verweildauer im Maßregelvollzug seit Jahren angestiegen ist, sah er die Notwendigkeit einer häufigeren externen Überprüfung. Im Gesetzentwurf (BT-Drucksache 18/7244) heißt es hierzu: „Zur Steigerung der Qualität von Fortdauerentscheidungen soll eine externe Begutachtung künftig grundsätzlich nach jeweils drei Jahren vollzogener Unterbringung nach § 63 StGB erfolgen, nach einer Unterbringungszeit von sechs Jahren alle zwei Jahre. Dies ermöglicht eine objektivere Beurteilung der der Unterbringung zugrundeliegenden diagnostischen und prognostischen Einschätzungen sowie der Entwicklungen im Rahmen der in Anspruch genommenen Therapieangebote im Maßregelvollzug. Die Erhöhung der Frequenz unterstreicht auch den bereits vom Bundesverfassungsgericht betonten Gesichtspunkt, dass das Gutachten nicht durch „Belange der Maßregelvollzugseinrichtung“ beeinflusst werden soll. Mit einer externen Begutachtung wird schon dem bloßen Anschein entgegengetreten, der Inhalt des Gutachtens könne womöglich auch durch das Interesse an der Auslastung der Einrichtung und deren wirtschaftlichen Erfolg mitbestimmt sein, gerade vor dem Hintergrund, dass in den letzten Jahren in einigen Ländern Maßregelvollzugseinrichtungen privatisiert worden sind. Zudem weisen Einzelstudien darauf hin, dass unterschiedliche Unterbringungsdauern und Lockerungsentscheidungen wesentlich auch von der jeweiligen Klinik und ihrem Personal abhängen.“

Das klingt vernünftig, aber schon der erste Satz wirft Fragen auf. Eine Erhöhung der Quantität soll regelhaft zu einer Steigerung der Qualität führen?Viel hilft viel!“ – das gilt manchmal, aber nicht immer! Natürlich verstehe ich den gesetzgeberischen Ansatz. Je länger die Unterbringung dauert, desto mehr Bedeutung gewinnt das Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten  – Stichwort Verhältnismäßigkeit – und desto engmaschiger und kritischer soll die externe Kontrolle sein. Und um diese Kontrolle zu gewährleisten, regelt das Gesetz (§ 463 Abs. 4 Satz 3 bis 5 StPO) weitere Einzelheiten: „Der Sachverständige darf weder im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen sein noch in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeiten, in dem sich die untergebrachte Person befindet, noch soll er das letzte Gutachten bei einer vorangegangenen Überprüfung erstellt haben. Der Sachverständige, der für das erste Gutachten im Rahmen einer Überprüfung der Unterbringung herangezogen wird, soll auch nicht das Gutachten in dem Verfahren erstellt haben, in dem die Unterbringung oder deren späterer Vollzug angeordnet worden ist. Mit der Begutachtung sollen nur ärztliche oder psychologische Sachverständige beauftragt werden, die über forensisch-psychiatrische Sachkunde und Erfahrung verfügen.“

Unabhängig, kompetent und kritisch soll der externe Sachverständige sein!

Das ist alles gut und richtig. Allein – woher sollen die Heerscharen von unabhängigen, forensisch erfahrenen Psychiatern und Psychologen kommen, deren Existenz der Gesetzgeber offenbar voraussetzt? Menschen, die sowohl die Expertise als auch das Selbstbewusstsein haben, die Behandler im Maßregelvollzug zu kontrollieren und ihnen, wenn nötig, zu widersprechen?  Die sich beispielsweise zu sagen trauen: „Obwohl der Untergebrachte vor einigen Jahren im Zustand einer akuten Psychose mehrere Menschen getötet hat, halte ich ihn – im Gegensatz zu den behandelnden Ärzten – mittlerweile für ungefährlich und befürworte eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung!“ Bei uns in Lüneburg, das kann ich aus meiner Tätigkeit im Schwurgericht und in der Strafvollstreckungskammer sagen, gibt es derer gegenwärtig noch zwei. Einer der beiden hat das Eintrittsalter der gesetzlichen Rentenversicherung bereits hinter sich gelassen. Versuche mit „auswärtigen“ Sachverständigen, wenn sie denn überhaupt Zeit und Lust hatten, für uns tätig zu werden, brachten sehr gemischte Ergebnisse. Spätestens wenn man versucht, einen erfahren Sachverständigen (einen alten Haudegen und Veteranen des Maßregelvollzuges) zu veranlassen, sein Gutachten nach den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu erstatten, stößt man an unüberwindliche Grenzen. Statistische Prognoseinstrumente sind was für Anfänger und Angsthasen…

Die Zeit drängt – es fehlt der Nachwuchs!

Mit anderen Worten: die Lage ist ernst, und sie wird sich absehbar eher verschlechtern als verbessern. Offenbar hat fast niemand mehr Lust, sein Berufsleben als selbständiger forensischer Psychiater zu verbringen. An den Verdienstmöglichkeiten liegt es sicher nicht – woran dann? Das habe ich vor einiger Zeit einen Psychiater gefragt. Seine Antwort war in etwa folgende: Wenn sich jemand dafür entscheidet, Arzt zu werden und mit Medizin studiert, ist die Entscheidung für die Psychiatrie an sich schon exotisch. Wer sich dennoch mit Erfolg in diesem Fach etabliert, kann sich seinen Job quasi aussuchen. Gegen die Tätigkeit als selbständiger Psychiater spricht zum einen, dass man von seinen Auftraggebern – sprich den Gerichten – und deren Launen abhängig ist. Zugegeben, das ist keine schöne Vorstellung, Verteidiger werden mir zustimmen. Und zum anderen, dass  das ärztliche Selbstverständnis (Halbgötter in Weiß) kritische Rückfragen oder gar entschiedenen Widerspruch von medizinischen Laien (Juristen) nicht oder nur sehr schwer erträgt.

Ob das alles so stimmt, kann ich nicht sagen, aber ich fand die Antwort zumindest plausibel. Wenn es auch nur zum Teil stimmt, muss sich Im Interesse sowohl der Untergebrachten als auch der öffentlichen Sicherheit dringend etwas ändern, und zwar bald! Denn Sachverständige lassen sich nicht per Gesetz erschaffen und auch nicht über Nacht ausbilden. Ein Ansatz bestünde möglicherweise darin, die Landeskriminalämter neben Chemikern und Biologen auch Psychiater und Psychologen anstellen zu lassen. Damit wäre zumindest deren wirtschaftliche  Abhängigkeit von einzelnen Richtern bzw. Kammern überwunden. Ob Verteidiger das für eine gute Idee halten, weiß ich nicht. Vielleicht haben sie ja bessere Vorschläge?

Diagnose „Persönlichkeitsstörung“

Die Diagnose „Persönlichkeitsstörung“ ist ein schillernder Begriff, mit dem psychiatrische Sachverständige mitunter (zu) großzügig umgehen. Dies gilt insbesondere für die „emotional instabile“ und die „dissoziale“ Persönlichkeitsstörung. Oft werden Angeklagte in diese Schubladen gesteckt, die zu impulsiven Gewalttaten („emotional instabil“) oder wiederholten Gesetzesübertretungen („dissozial“) neigen. Die rechtlichen Folgen können äußerst einschneidend sein: wenn die Persönlichkeitsstörung die Qualität einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ im Sinne von § 20 StGB erreicht, kommt die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) oder in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) in Betracht!

Der Bundesgerichtshof ist daher – zu Recht – von jeher sehr kritisch, wenn es um Persönlichkeitsstörungen und deren mögliche Rechtsfolgen geht. Gerade bei der „dissozialen Persönlichkeitsstörung“ besteht die Gefahr von Zirkelschlüssen, denn „deliquentes Verhalten ist bereits ein diagnostisches Kriterium“ (Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5 Auflage, S. 316), obwohl sich die Begehung von Straftaten auch „normalpsychologisch“ erklären lässt („kriminelle Entscheidungsfindung“).

Die typischen „Knackpunkte“ sind – einmal mehr – Gegenstand einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH, 22.05.2019, 1 StR 651/18). Der Angeklagte war vom Landgericht Kempten wegen Mordes in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung und wegen Wohnungseinbruchdiebstahls zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Zudem war seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden. Der BGH hat das Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Zum Sachverhalt heißt es in der Revisionsentscheidung: „Der an einer „mit Krankheitswert versehenen Persönlichkeitsstörung“ mit „emotional instabilen und dissozialen Anteilen gemäß ICD.10 F61.0“ leidende Angeklagte hatte bereits im Kindesalter das Elternhaus verlassen und in Rumänien mehrere Gewalttaten, unter anderem Raub und Vergewaltigung, begangen. Deswegen war er in Rumänien mehrmals zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden, darunter zu einer Freiheitsstrafe von dreizehn Jahren; er war dreimal inhaftiert, unter anderem von März 2004 bis Mai 2015. In Deutschland hatte er sich wegen einer am 30. April 2016 versuchten Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung bis zum Tag der Urteilsverkündung am 28. Februar 2017 in Untersuchungshaft befunden.

Der Angeklagte drang am Abend des 8. März 2017 gewaltsam in die verschlossene Einliegerwohnung eines abseits gelegenen Hauses in L. ein und entwendete mehrere Alltagsgegenstände, die er zum späteren Abholen etwa 150 Meter vom Haus entfernt deponierte. Die Mieter waren für sechs Monate ortsabwesend.

Anschließend verschaffte sich der Angeklagte mit Gewalt Zugang zur im selben Haus befindlichen verschlossenen Wohnung des Geschädigten H., um auch dort Gegenstände zu entwenden. Dort traf er auf den 76-jährigen am Herzen und an Diabetes erkrankten Geschädigten. Ab diesem Zeitpunkt befand sich der Angeklagte aufgrund seiner „psychiatrischen Grunderkrankung“ nicht ausschließbar in einem „derart starken Anspannungszustand“, „in dem er möglicherweise im Rahmen seiner schweren Persönlichkeitsstörung nicht mehr ausreichend in der Lage gewesen sein könnte, seine aggressiven Handlungsimpulse zu steuern“. Er brach dem Geschädigten durch einen kräftigen Schlag oder Tritt den Kiefer und versetzte ihm mehrere Schläge bzw. Tritte gegen den Kopfbereich, den Rücken, die Arme sowie gegen den Brustkorb und die Handgelenke. In unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Gewaltanwendung fasste der Angeklagte den Entschluss, H.  zu töten, um zu verhindern, dass dieser ihn als Täter der Einbruchtat identifizieren werde. Der Angeklagte würgte den Geschädigten zu Tode, wobei Zungenbeinfortsatz und -hörner abbrachen, platzierte ihn entkleidet in der Duschkabine und ließ Wasser einlaufen, um den Tod als einen Badeunfall aussehen zu lassen. Um sämtliche Tatspuren des Einbruchs und der Tötung zu beseitigen, setzte der Angeklagte, der zu einem nicht genauer bestimmbaren Zeitpunkt 150 € Bargeld an sich nahm, das Wohnzimmer durch Entzünden geeigneter Gegenstände in Brand; die Flammen breiteten sich über die Decke des Wohnzimmers über das gesamte Haus aus, das vollständig abbrannte.“

Was war aus Sicht des BGH schiefgelaufen?

Zunächst monierte der Senat – geradezu klassisch – die Ausführungen des Landgerichts zur Diagnose und deren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten. Die Ausführungen zu diesem Punkt sind ständige Rechtsprechung und lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Diagnose „Persönlichkeitsstörung“ hat für sich genommen keinerlei rechtlich Aussagekraft, denn „dabei handelt es sich um einen Oberbegriff zu verschiedenen Varianten, die unterschiedliches Gewicht haben. Diese reichen von einer Vielzahl normalpsychologisch wirkender Ausprägungen des Empfindens und Verhaltens bis zu einer abnormen Persönlichkeit, deren Störungsgrad Krankheitswert zukommt.“ Der BGH vermisste eine Zuordnung der Persönlichkeitsstörung zu einem Eingangskriterium des § 20 StGB und führte weiter aus: „Gelangt der Sachverständige zur Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung, ist dies noch nicht mit der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ in § 20 StGB gleichzusetzen. Vielmehr sind der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit für die Beurteilung der Schuldfähigkeit entscheidend.“ Insoweit seien die Feststellungen lückenhaft.

Auch die Versagung der möglichen Strafrahmenverschiebung gem. §§ 21, 49 Abs. 1 StGB überzeugte den Senat nicht: „Zwar sieht § 21 StGB auch bei der absolut bestimmten Strafandrohung des § 211 StGB nur eine fakultative Strafmilderung vor. Ob eine Milderung des Strafrahmens nach § 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen oder zu versagen ist, hat das Tatgericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Bei verminderter Schuldfähigkeit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Schuldgehalt und damit die Strafwürdigkeit der Tat verringert sind, sodass regelmäßig eine Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen ist, wenn nicht andere schulderhöhende Umstände, die diese Schuldminderung kompensieren, dem entgegenstehen. Das Ausmaß der fakultativen Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB lässt dabei erkennen, dass der Gesetzgeber die Tatschuld als typischerweise beträchtlich verringert ansieht, wenn der Täter vermindert schuldfähig war. Hieraus folgt, dass es für die Verweigerung der Milderung eines besonderen Grundes bedarf, der umso gewichtiger sein muss, je gravierender sich die Beibehaltung des Regelstrafrahmens auswirkt. Hat das Tatgericht – wie hier – die Wahl zwischen lebenslanger und zeitiger Freiheitsstrafe, müssen besondere erschwerende Gründe vorliegen, um die mit der verminderten Schuldfähigkeit verbundene Schuldminderung so auszugleichen, dass von einer Milderung des Strafrahmens abgesehen werden darf.“

Ferner vermisste der Senat eine Prüfung der Maßregelanordnung nach § 63 StGB und führte hierzu aus: „Sollte im Rahmen erneuter Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit gesichert festgestellt werden, wird auch eine Unterbringung nach § 63 StGB zu prüfen sein, die zwar kein „geringeres“, sondern ein „anderes“ Übel gegenüber die Sicherungsverwahrung darstellt; sie erweist sich aber schon deshalb regelmäßig als die weniger beschwerende Maßregel, weil sie grundsätzlich vor der Strafe vollzogen und auf die Strafe angerechnet wird (§ 67 Abs. 1, 4 StGB). Auch aus diesem Grund ist – und zwar unabhängig von der Frage der Therapierbarkeit – der Maßregelanordnung nach § 63 StGB in der Regel gegenüber der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung der Vorrang einzuräumen. Sind beide Maßnahmen (§§ 63, 66 StGB) gleichermaßen geeignet, den erstrebten Zweck zu erreichen, so ist der Maßregel der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschwert (§ 72 Abs. 1 Satz 2 StGB).“

Arbeitshilfe zur Unterbringung gem. § 63 StGB

Die Arbeitshilfe zur Unterbringung gem. § 63 StGB ist ein 2-seitiges pdf-Dokument. Sie steht unter dem Motto „Das Wichtigste in Kürze“ und darf von jedermann und jederfrau nach Lust und Laune unverändert (!) verwendet und weitergegeben werden. Alle Angaben sind ohne Gewähr, feedback sowie Änderungs- oder Ergänzungsvorschläge sind jederzeit willkommen!

Die Unterbringung gemäß § 63 StGB – alles hat ein Ende!

Willkommen zu einem kleinen Ausflug ins Strafvollstreckungsrecht. In diesem Beitrag soll es um die Frage gehen, wann und unter welchen Umständen eine gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte Person wieder auf freien Fuß kommen kann. Dass die Unterbringung grundsätzlich unbefristet ist und deshalb bisweilen etwas überspitzt als „das wahre Lebenslang“ bezeichnet wird, ist an anderer Stelle bereits erläutert worden.

Idealerweise endet die Unterbringung im Maßregelvollzug damit, dass die Maßregel nach erfolgreicher Behandlung gemäß § 67d Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt wird, weil zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Wenn dies – aus welchen Gründen auch immer – nicht gelingt, stellt sich mit zunehmender Dauer der Unterbringung immer drängender die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Unterbringung, die in § 62 StGB ausdrücklich vorgeschrieben ist.

Mit dem „Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften“ vom 8. Juli 2016 wollte der Gesetzgeber auf eine immer weiter steigende Zahl von Maßregelpatienten und eine immer längere durchschnittliche Verweildauer reagieren. Im Koalitionsvertrag war diesbezüglich vereinbart worden: „Wir reformieren das Recht der strafrechtlichen Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern, indem wir insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stärker zur Wirkung verhelfen.“

Umgesetzt wurde dies durch eine Änderung von § 67d Abs. 6 StGB, der die Anforderungen an die vom Untergebrachten ausgehende Gefahr in zwei Schritten erhöht:

Dauert die Unterbringung 6 Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen rein wirtschaftliche Schäden (die als Anlass für eine Unterbringung nach § 63 StGB vernünftigerweise ohnehin nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen) eine über die Dauer von 6 Jahren hinausgehende Fortdauer der Unterbringung in der Regel nicht rechtfertigen können. „Erheblich“ im Sine des Gesetzes sollen drohende Verbrechen sein sowie Vergehen, die mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind, einen hohen Schweregrad aufweisen und den Rechtsfrieden empfindlich stören. Bei reinen Körperverletzungsdelikten etwa soll der Schweregrad an den zu erwartenden Tatfolgen festgemacht werden können. Reine „Bagatellverletzungen“ wie Prellungen und Hämatome sollen nicht reichen, Knochenbrüche und Gehirnerschütterungen hingegen schon. Die Negativformulierung „wenn nicht die Gefahr besteht“ impliziert ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, das die Erledigung der Maßregel nicht von einer positiven Prognose, sondern ihre Fortdauer von einer negativen Prognose abhängig macht.

Sind 10 Jahre der Unterbringung vollzogen, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Damit wird auf der zweiten Stufe der Maßstab des Rechts der Sicherungsverwahrung für die Zehn-Jahres-Prüfung nach § 67d Absatz 3 Satz 1 StGB übernommen. Nicht mehr ausreichend ist damit, wenn nur noch die Gefahr besteht, dass der Täter rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer in die „Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden“. Die bloße „Gefahr“ einer „Gefahr“ kann nach so langer Zeit eine weitere Unterbringung also nicht mehr rechtfertigen.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG 07.02.2019, 2 BvR 2406/16, zitiert nach juris) verlangt in jedem Einzelfall die Prüfung, ob und welche Art rechtswidriger Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit und Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Dabei ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren; die Art und der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten ist zu bestimmen; deren bloße Möglichkeit vermag die weitere Maßregelvollstreckung nicht zu rechtfertigen. Bei allem ist auf die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls einzugehen. Zu erwägen sind das frühere Verhalten des Untergebrachten und von ihm bislang begangene Taten. Abzuheben ist aber auch auf die seit der Anordnung der Maßregel veränderten Umstände, die für die künftige Entwicklung bestimmend sind. […] Bleibt das Bemühen des Richters um Zuverlässigkeit der Prognose trotz Ausschöpfung der zu Gebote stehenden Erkenntnismittel mit großen Unsicherheiten behaftet, so hat auch dies Eingang in seine Bewertung zu finden.“

Das bedeutet für die Strafvollstreckungskammern, dass sie nach dem Grundsatz „in dubio pro libertate“ zukünftig viele Unterbringungen für erledigt erklären müssen, obwohl bzw. gerade weil unklar ist, ob der Untergebrachte nach 15, 18 oder 21 Jahren im Maßregelvollzug noch allgemeingefährlich ist. Manche der hiervon betroffenen Untergebrachten werden sich darüber zweifellos freuen. Für andere, die stark hospitalisiert und zu einer eigenständigen Lebensführung aufgrund ihres körperlichen und/oder psychischen Zustands kaum in der Lage sind, wird es eher einen Verlust an Sicherheit und Fürsorge bedeuten. Hinzu kommt, dass privatwirtschaftlich organisierte Alten- und Pflegeheime sich mit der Aufnahme von „Risikopatienten“ naturgemäß schwertun. Psychisch kranke Brandstifter und Sexualstraftäter beispielsweise sind ausgesprochen schwer vermittelbar. Wenn noch eine Intelligenzminderung und/oder eine Suchtproblematik hinzukommen, ist die Suche nach einem geeigneten Heimplatz fast aussichtslos. Es ist bereits vorgekommen, dass Verteidiger darauf angetragen haben, ihren Mandanten trotz offensichtlich fehlender Verhältnismäßigkeit nicht kurzfristig „auf die Straße zu setzen“. Aber drohende Obdachlosigkeit allein ist natürlich kein Grund, die „außerordentlich beschwerende“ Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufrechtzuerhalten.

Die „Aussetzung zugleich mit der Anordnung“ gemäß § 67b StGB

Freiheitsstrafen, deren Dauer 2 Jahre nicht überschreitet, können gemäß § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden. Das Gleiche ermöglicht § 67b StGB für die Maßregeln nach § 63 StGB (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus) und § 64 StGB (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt), sofern nicht gleichzeitig mit der Maßregel eine vollziehbare Freiheitsstrafe verhängt wird.

Besonders in den Fällen der „63er-Unterbringung“ muss sich das Gericht intensiv mit der Aussetzungsmöglichkeit beschäftigen, denn die unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine „außerordentlich beschwerende Maßnahme“ (BGH, 28.03.2019, 4 StR 530/18, NStZ-RR 2019, 173), deren Vollzug nur dann verhältnismäßig ist, wenn sich die vom Angeklagten ausgehende Gefahr nicht auf für ihn weniger belastende Weise auf ein vertretbares Maß reduzieren lässt. Das Gesetz verlangt für die „Aussetzung zugleich mit der Anordnung“ in § 67b StGB „besondere Umstände“, die die Erwartung rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel bereits durch ihre Anordnung, also ohne ihren Vollzug, erreicht werden kann. Zu prüfen ist laut Bundesgerichtshof (BGH, 26.05.2009, 4 StR 148/09, NStZ 2009, 581), „ob sich die vom Angeklagten ausgehende Gefahr insbesondere durch die Begründung eines Betreuungsverhältnisses nach §§ 1896 ff. BGB und durch geeignete Weisungen im Rahmen der Bewährung (§ 268a Abs. 2 StPO) und der mit ihr verbundenen Führungsaufsicht (§§ 67b Abs. 2, 68b StGB) abwenden oder jedenfalls so stark abschwächen lässt, dass ein Verzicht auf den Vollzug der Maßregel gewagt werden kann. Denn die damit verbundenen Überwachungsmöglichkeiten und das dem Angeklagten zu verdeutlichende Risiko, bei Nichterfüllung solcher Weisungen mit dem Vollzug der Unterbringung rechnen zu müssen, können geeignet sein, die vom Sachverständigen und der Strafkammer angeführten Voraussetzungen einer erfolgversprechenden ambulanten Therapie herbeizuführen, zumal der Angeklagte zur Einhaltung solcher Regeln bereit ist, die seinen Interessen dienen. Dies gilt umso mehr, als sich der Angeklagte trotz seines Zustandes bis zur Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten weitgehend straffrei geführt hat und auch danach ohne weitere relevante Auffälligkeiten auf freiem Fuß verblieben ist.“

Im Ergebnis werden trotz dieser Vorgaben nur sehr wenige Unterbringungen nach §63 StGB bereits im Urteil zur Bewährung ausgesetzt. Die Erklärung hierfür liegt, jedenfalls was Verfahren vor dem Schwurgericht angeht, auf der Hand: zumeist geht es um schwere Gewalttaten, bei denen der Geschädigte schwer verletzt oder gar getötet worden ist, die vom Angeklagten krankheitsbedingt ausgehende Gefahr also erwiesenermaßen sehr hoch ist. Häufig gab es auch vor und nach der Tat Auffälligkeiten, wobei das Verhalten des Angeklagten bzw. Beschuldigten in der einstweiligen Unterbringung gemäß § 126a StPO sehr aufschlussreich sein kann. Gesetzliche Betreuung, Bewährungs- und Führungsaufsicht sind in solchen Fällen zumeist keine geeigneten Alternativen, weil Personen mit einer akuten psychischen Erkrankung häufig keine Krankheits- und Behandlungseinsicht haben und sich weder von einem Betreuer noch von einem Bewährungshelfer leiten lassen würden. Dies gilt z.B. für Menschen mit einer Wahnstörung, aber auch für Personen, die an einer bipolaren affektiven Störung („manisch-depressiv“) erkrankt sind. Letztere fühlen sich im Verlauf eines manischen Krankheitsschubes zumeist außerordentlich vital, kreativ, leistungsfähig und verspüren keinerlei Leidensdruck. Wer sie als krank bezeichnet und zu einer ärztlichen Behandlung drängt, begibt sich unter Umständen selbst in Lebensgefahr! Vor einigen Jahren hatte das Lüneburger Schwurgericht einen Fall zu entscheiden, in dem ein 70-jähriger (!) Beschuldiger eines Morgens seine Ehefrau erwürgt hatte, weil diese ihn währende einer manischen Phase zur Behandlung in eine psychiatrische Klinik bringen wollte. Seinerzeit stellte die Kammer (LG Lüneburg, 02.07.2014, 27 Ks 6/14) zur Tatdynamik fest: „Am Morgen des 14.02.2014 dachte der Beschuldigte an den bevorstehenden Psychiatrieaufenthalt, zu dem er sich seiner Ehefrau zu Liebe bereit erklärt hatte, den er innerlich aber ablehnte. Seine innere Unruhe steigerte sich krankheitsbedingt zu einer starken Aggression, die sich gegen seine Ehefrau richtete, der er die Schuld dafür gab, dass er immer wieder gegen seinen Willen in die Psychiatrie eingewiesen wurde. In ihm kam der Gedanke auf, sie zu töten, weil er keine andere Möglichkeit sah, den immer näher rückenden Psychiatrieaufenthalt abzuwenden. Gegen 9.00 Uhr wurde sein innerer Handlungsdruck so übermächtig, dass er seiner Ehefrau, die zu diesem Zeitpunkt hochwahrscheinlich schlafend in ihrem Bett lag, mit beiden Händen an den Hals griff und sie würgte, bis sie wie von ihm beabsichtigt verstarb. Dabei hatte er die Einsicht, Unrecht zu tun, seine Fähigkeit, sich nach der erhaltenen Unrechtseinsicht zu verhalten, war jedoch jedenfalls erheblich vermindert, nicht ausschließbar sogar aufgehoben.“

Wie tückisch die bipolare affektive Störung sein kann, zeigt sich daran, dass der Beschuldigte bis heute – nach mehr als 4-jähriger Therapie im Maßregelvollzug – noch immer keinen Zusammenhang zwischen seiner Erkrankung und der Tat sieht, wovon sich die Strafvollstreckungskammer unlängst wieder überzeugt hat. Bei derart komplexen und hartnäckigen Erkrankungen ist für eine „Aussetzung zugleich mit der Anordnung“ in der Regel kein Raum.

Die Unterbringung gemäß § 63 StGB – das „wahre Lebenslang“?

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) ist keine Strafe, sondern eine „Maßregel der Sicherung und Besserung“. Maßregeln sind – anders als Strafen (vgl. § 46 StGB) – von der Schuld des Täters unabhängig. Sie können also auch gegen Täter verhängt werden, die bei Begehung der Tat schuldunfähig waren und dementsprechend nicht bestraft werden können.

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt gemäß § 63 StGB voraus, dass der Täter die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen hat und dass er für die Allgemeinheit gefährlich ist, weil von ihm sind infolge seiner Zustands weitere erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind. Wenn das Gericht – gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG nicht das Amtsgericht – diese Voraussetzungen als erfüllt ansieht, trifft es im Urteil die entsprechende Anordnung („Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhause wird angeordnet“).

Entgegen einer landläufig verbreiteten Meinung ist die Unterbringung übrigens das Gegenteil von einem „Sanatoriumsaufenthalt“. In den hochgesicherten forensischen Abteilungen psychiatrischer Krankenhäuser sind Menschen mit den unterschiedlichsten psychischen Erkrankungen auf verhältnismäßig engem Raum untergebracht, die teilweise schwerste Straftaten begangen haben und sich krankheitsbedingt aggressiv-bedrohlich verhalten. Nicht selten kann das geschulte Pflegepersonal schwere Auseinandersetzungen gerade noch in letzter Sekunde verhindern, mitunter wird es auch selbst zum Ziel von Angriffen. Insgesamt der Maßregelvollzug also kein Ort, an den man sich freiwillig begeben würde – es sei denn, man ist Psychiater, Psychologe o.ä. und verdient dort sein Geld. 

Vor aber allem ist die Unterbringung zeitlich unbefristet, was bedeutet, dass für den Untergebrachten – anders als für den „normalen“ Strafgefangenen – kein Ende abzusehen ist. Die durchschnittliche „Verweildauer“ soll zwischen 6 und 8 Jahren liegen, wobei es Einzelfälle gab und vereinzelt noch immer gibt, die diese Dauer um ein Mehrfaches überschreiten. Dies ist auch der Grund, warum die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bisweilen als „das wahre lebenslang“ bezeichnet wird. Weil das so ist, stellt der Bundesgerichtshof (BGH, 06.12.2018, 4 StR 367/18, StV 2019, 257) strenge Anforderungen an die Anordnung der Maßregel und deren Begründung im Urteil: „Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall. Der Tatrichter muss die eine Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen. Darüber hinaus muss die Anordnung verhältnismäßig sein. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet. In § 62 StGB hat ihn der Gesetzgeber ausdrücklich nochmals einfachgesetzlich geregelt, um seine Bedeutung bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung hervorzuheben. Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde. Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen. Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Betroffenen und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken.“ Hinsichtlich dieser „anderen Maßnahmen“ gilt nach einer aktuellen Entscheidung des 4. Strafsenats (BGH, 28.03.2019, 4 StR 530/18, NStZ-RR 2019, 173): „Schließlich kommt es für die Entscheidung, ob eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen ist, auch nicht darauf an, ob die von dem Täter ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch Maßnahmen außerhalb des Maßregelvollzugs – wie etwa eine konsequente medizinische Behandlung, die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung oder eine Unterbringung in einem betreuten Wohnen – abgewendet werden kann. Solche (täterschonenden) Mittel sind erst für die Frage bedeutsam, ob die Vollstreckung der Unterbringung gemäß § § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

Tatsächlich wird die Maßregel in manchen Fällen buchstäblich lebenslang vollzogen, weil es Betroffene gibt, die bis zu ihrem letzten Atemzug allgemeingefährlich sind. Über einen körperlich wie geistig schwer behinderten, psychisch kranken und im Rollstuhl sitzenden Serienbrandstifter sagte ein Psychiater vor einiger Zeit: „Natürlich lassen seine körperlichen Kräfte immer mehr nach. Aber solange der ein Feuerzeug bedienen kann, ist er hochgefährlich“. Auch jenseits von solchen tragischen Fällen ist es alles andere als einfach, aus der Unterbringung wieder entlassen zu werden. Der Fall des heute 62-jährigen Gustl Mollath belegt dies bis heute öffentlichkeitswirksam, auch er verbrachte – die einstweilige Unterbringung eingerechnet – rund 7 Jahre im Maßregelvollzug und streitet bis heute mit dem Land Bayern über die Höhe der ihm hierfür zustehenden Entschädigung…