Mord und Totschlag sind sog. Vorsatzdelikte, d.h. Mörder und Totschläger kann nur derjenige sein, der bei Begehung der Tat mit Tötungsvorsatz gehandelt hat. Heutzutage hat Vorsatz mit planerischem Vorgehen nur am Rande etwas zu tun. Wer eine lange geplante Tat ausführt, handelt vorsätzlich. Aber auch ohne Planung, also spontan, kann man sowohl Mord als auch Totschlag begehen. Das war nicht immer so: nach dem Strafgesetzbuch von 1871 war Mörder, wer „die Tödtung mit Ueberlegung ausgeführt hat“, während der Totschläger „die Tödtung nicht mit Ueberlegung ausgeführt hat“. In beiden Fällen musste der Täter vorsätzlich gehandelt haben, ohne dass gesetzlich geregelt war, was dies voraussetzt.
In Deutschland unterscheiden Juristen drei Formen des Vorsatzes: wer sein Opfer töten will, handelt mit Tötungsabsicht („dolus directus 1. Grades“). Derjenige, der sicher davon ausgeht, dass sein Opfer versterben wird, aber kein Interesse an dessen Tod hat, handelt mit direktem Tötungsvorsatz („dolus directus 2. Grades“). Wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet (Wollenselement), mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein, handelt mit bedingtem Tötungsvorsatz („dolus eventualis“ – Eventualvorsatz) (BGH, 24.04.2019, 2 StR 377/18, zitiert nach juris). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten.
Wichtig – und gerade in jüngster Zeit immer wieder Gegenstand von Revisionsentscheidungen des Bundesgerichtshofs – ist außerdem, dass der Vorsatz im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung vorliegen muss; fasst der Täter den Vorsatz erst später („dolus subsequens“), kommt eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat nicht in Betracht. Dieser Umstand führte u.a. zur Aufhebung des Urteils im „Berliner Autoraserfall“. Der Bundesgerichtshof (BGH, 01.03.2018, 4 StR 399/17, NStZ 2018, 409) hatte erkannt: „Dass der Tötungsvorsatz ab einem Zeitpunkt vorlag, als die tödliche Kollision bereits nicht mehr zu verhindern war, ist für die Annahme eines vorsätzlichen Tötungsdelikts rechtlich bedeutungslos.“
In der Praxis spielen fast nur die Tötungsabsicht und der Eventualvorsatz eine Rolle, wobei letzterer immer wieder Gegenstand leidenschaftlicher Argumentationen ist, vor allem, wenn das Opfer die Tat überlebt hat. Nicht selten weist die Verteidigung in derartigen Fällen als erstes auf das fehlende bzw. nicht sicher feststellbare Tötungsmotiv hin, was indes – selbst wenn sich das Gericht dieser Einschätzung anschließt – nur die Tötungsabsicht, nicht aber den bedingten Tötungsvorsatz entfallen lässt. Denn der Eventualvorsatz zeichnet sich gerade dadurch aus, dass dem Täter der Tod seines Opfers gleichgültig oder gar unerwünscht ist, ein Tötungsmotiv ist nicht erforderlich! Entscheidend für das Gericht ist die im Urteil ausführlich darzustellende „Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände“, d.h. die Persönlichkeit des Täters und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung müssen ebenso erwogen werden wie seine Motivation und nicht zuletzt die konkrete Angriffsweise, denn die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ist ein wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes. Das bedeutet für die Praxis: je gefährlicher eine Tathandlung und je offensichtlicher die Gefahr eines tödlichen Ausgangs ist, desto eher wird bedingter Tötungsvorsatz anzunehmen sein. Ein Messerstich in den Hals oder in die Herzregion beispielsweise ist – auch medizinischen Laien bekannt – hochgefährlich. Nicht viel weniger gefährlich kann ein Stich in den Oberschenkel sein, wo ähnlich wie im Hals große Blutgefäße verlaufen, deren Verletzung binnen kurzer Zeit zu einem tödlichen Blutverlust führen kann. Dieses Wissen wird man indes bei vielen Tätern nicht voraussetzen können, denn im Fernsehen stirbt niemand an einem Stich ins Bein…
Eine „Hemmschwellentheorie“, die mitunter als letzter Strohhalm herhalten muss, um den auf der Hand liegenden bedingten Tötungsvorsatz doch noch irgendwie in Frage zu stellen, gibt es übrigens nicht. Was es gibt, ist eine Tötungshemmschwelle, die allerdings bei manchen Menschen offensichtlich nicht sonderlich stark ausgeprägt ist, hätte sie doch anderenfalls die lebensgefährliche Tathandlung unterbunden. Mit den Worten des Bundesgerichtshofs (BGH, 05.04.2018, 1 StR 67/18, NStZ-RR 2018, 371) ausgedrückt gilt: „Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der gebotenen Gesamtschau auf eine „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ abgestellt worden ist, erschöpft sich dies in einem Hinweis auf die Bedeutung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) bezüglich der Überzeugungsbildung vom Vorliegen eines (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatzes. Der Bundesgerichtshof hat stets betont, dass durch den Aspekt der „Hemmschwelle“ die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges, auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen nicht in Frage gestellt oder relativiert werden solle.“