Heimtückisch tötet, wer „in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt“. Was aber bedeutet „feindliche“ bzw. „feindselige“ Willensrichtung“? Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH, 19.06.2019, 5 StR 128/19, www.bundesgerichtshof.de) gibt Auskunft.
„Nach den Feststellungen des Schwurgerichts tötete der Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 17. Juni 2018 seine schlafende Ehefrau, indem er ihr mit einem schweren Hammer neun wuchtige Schläge gegen den Kopf versetzte.“ Das klingt erstmal ziemlich heimtückisch, weil Schlafende – so der BGH seit rund 50 Jahren – regelmäßig „ihre Arglosigkeit mit in den Schlaf nehmen“.
Das Landgericht Dresden fand dennoch einen Weg an der Rechtsfolge des § 211 StGB – lebenslange Freiheitsstrafe – vorbei und verhängte eine Freiheitsstrafe von „nur“ 13 Jahren. Es argumentierte, der Angeklagte habe in dem Glauben getötet, zum Besten seines Opfers zu handeln. Damit fehle es an einer Tötung in feindlicher Willensrichtung und somit an der Heimtücke, der Angeklagte habe „nur“ einen Totschlag gem. § 212 StGB begangen. Einziges Tatmotiv des Angeklagten sei gewesen, seiner Ehefrau durch die Tötung ein Leben im finanziellen Ruin zu ersparen, insbesondere die für wahrscheinlich gehaltene Wohnungskündigung und die Sperrung des Stromanschlusses bei Wegfall seiner Einkünfte ohne Aussicht, eine neue Stellung zu erhalten. Andere – naheliegende – Möglichkeiten wie die Stellung eines erneuten Insolvenzantrages, den Gang zur Schuldnerberatung, verbunden mit einer weitgehenden Offenbarung der finanziellen Verhältnisse gegenüber seiner Ehefrau, habe er nicht ernsthaft erwogen, so das Landgericht.
Wie es dem Angeklagten und der Verteidigung gelungen ist, das Schwurgericht von einer derart altruistischen Motivation zu überzeugen, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich war bei der Hauptverhandlung nicht zugegen. Belassen wir es dabei: die Feststellungen zu treffen, ist die ureigenste Aufgabe und Verantwortung des Tatrichters. Und dessen Schlussfolgerungen müssen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGH, 10.04.2019, 1 StR 646/18, zitiert nach juris).
Diesen Grundsätzen folgend hat der BGH die Feststellungen bestehen lassen. Zur Frage der feindlichen Willensrichtung ist er trotzdem anderer Auffassung als das Landgericht. Dazu heißt es im Urteil: „Einer heimtückischen Tötung kann die feindselige Willensrichtung […] grundsätzlich nur dann fehlen, wenn sie dem ausdrücklichen Willen des Getöteten entspricht oder – aufgrund einer objektiv nachvollziehbaren und anzuerkennenden Wertung – mit dem mutmaßlichen Willen des zu einer autonomen Entscheidung nicht fähigen Opfers geschieht. Ansonsten hat ein Schuldspruch wegen Mordes zu erfolgen. Anschließend ist zu prüfen, ob aufgrund ganz besonderer schuldmindernder Gesichtspunkte in Anwendung der Grundsätze der Entscheidung des Großen Senats ausnahmsweise eine Berücksichtigung des besonderen Tatmotivs auf der Rechtsfolgenseite geboten ist. Nach diesen Maßstäben und den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Schwurgerichts liegt nahe, dass der Angeklagte seine Ehefrau in feindseliger Willensrichtung und damit heimtückisch getötet hat. Trotz ihrer körperlichen und seelischen Gebrechen war die Getötete nach den Feststellungen des Landgerichts nicht derart beeinträchtigt, dass sie zu einer autonomen Willensbildung und -äußerung nicht mehr in der Lage gewesen wäre. Dass die Tötung – auch in dieser besonders brutalen Form – mit ihrer Einwilligung geschehen wäre, ist ebenfalls nicht festgestellt.“
Das bedeutet: wenn Sie erwägen, jemanden zu töten, weil Sie ihm oder ihr die mögliche Wiederwahl von Donald Trump, eine weitere Zweitliga-Saison des HSV oder die Umstellung von Sommer- auf Winterzeit ersparen wollen, müssen Sie vorher grundsätzlich fragen, ob der oder die auf diese Weise Umsorgte das für eine gute Idee hält. Anderenfalls handeln sie zwar in tatsächlicher Hinsicht wohlmeinend, rechtlich hingegen in feindlicher Willensrichtung. Und: lassen sie sich das Einverständnis besser schriftlich geben, denn nicht jedes Schwurgericht ist bereit, alles zu glauben!
Im Ernst: gespannt sein darf man darauf, ob das neue Tatgericht und ihm ggfs. nachfolgend der BGH im vorliegenden Fall zur Anwendung der sog. „Rechtsfolgenlösung“ kommt, die beim Heimtückemord ausnahmsweise die Verhängung einer zeitigen anstelle der gesetzlich vorgesehen lebenslangen Freiheitsstrafe ermöglicht. Nach den Feststellungen, die ja aufrechterhalten worden sind, erscheint das durchaus möglich.