Am Mittwoch, den 29.01.2020 um 20:15 zeigt die ARD den Kinofilm „Nur eine Frau“ von Sherry Hormans, der – wenn auch in abgewandelter Form – vom gewaltsamend Tod der damals 23-jährigen Hatun Aynur Sürücü im Jahre 2005 erzählt. Die junge Frau hatte sich von ihrem Ehemann getrennt und sich mit ihren Eltern überworfen, woraufhin einer ihrer Brüder (damals 19 Jahre alt) sie an einer Bushaltestelle in Berlin erschoss. Es ging also nicht um Blutrache, sondern um eine sog. Ehrenmord.
In juristischer Hinsicht stellt sich in Fällen wie dem oben beschriebenen regelmäßig die Frage, ob und wie viele Mordmerkmal vorliegen. Wenn der Täter sein Opfer unter bewusster Ausnutzung des Überraschungsmoments tötet, liegt Heimtücke vor. Damit ist die Tat als Mord qualifiziert, der Täter ist gemäß § 211 StGB zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Damit hat es allerdings noch längst nicht sein Bewenden, denn wenn ein zweites Mordmerkmal hinzutritt, droht ihm noch schlimmeres Unheil, nämlich die Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“ im Sinne von § 57a StGB.
Das zweite Mordmerkmal, das regelmäßig in Betracht kommt, ist die Begehung der Tat aus „niedrigen Beweggründen“. Zur Erinnerung: „Beweggründe sind im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind.“ (BGH, 22.03.2017, NStZ 2018, 527). Geht man davon aus, dass der Bruder von Hatun Sürücü, um bei diesem Fall zu bleiben, sich um der Familienehre willen nicht nur berechtigt, sondern möglicherweise sogar verpflichtet fühlte, seine „ehrlose“ Schwester zu töten, stellt sich die Frage, aus wessen Sicht zu bestimmen ist, was „sittlich auf tiefster Stufe steht“. Klar ist: einen allgemein akzeptierten Konsens wird man vielen Fällen aufgrund der Heterogenität der Gesellschaft und der verschiedenen kulturellen und religiösen Prägungen und Vorstellungen nicht ermitteln können. Die „allgemeine sittliche Wertung“ übernehmen daher letztlich die Gerichte, in buchstäblich letzter Instanz der Bundesgerichtshof. Und der hat dazu unlängst (BGH, 28.11.2017, 5 StR 480/17, NStZ 2018, 92) wieder entschieden: „Der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes ist den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe zu entnehmen, die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt . Vor diesem Hintergrund kann die Verwurzelung eines Täters in einem anderen Kulturkreis und in einer bestimmten Glaubensform nur ganz ausnahmsweise die Ablehnung der subjektiven Seite niedriger Beweggründe rechtfertigen.“ Damit ist klar: bei der Frage, was ein „niedriger Beweggrund“ ist, gibt es eine Art „bundesrepublikanische Leitkultur“, die sich am Grundgesetz (insbesondere der Menschenwürde, dem Recht auf Leben und der Gleichberechtigung von Mann und Frau) orientiert.
Vor diesem Hintergrund ist zu differenzieren: beruht die Tatmotivation (Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht) auf „einem (berechtigten) Gefühl erlittenen schweren Unrechts und entbehren sie damit nicht eines beachtlichen, jedenfalls einleuchtenden Grundes, spricht dies gegen eine Bewertung als „niedrig“ im Sinne der Mordqualifikation“. Ein Beispiel hierfür wäre die Tötung eines Mörders durch den Sohn des Opfers, sofern diesen bei Begehung seiner Tat der Tod seines Vaters noch erheblich belastet.
Wenn sich der Täter hingegen „seiner persönlichen Ehre und der Familienehre wegen gleichsam als Vollstrecker eines von ihm und seiner Familie gefällten Todesurteils über die Rechtsordnung und einen anderen Menschen erhebt“, steht sein Motiv in der Regel „sittlich auf tiefster Stufe“ (BGH, 10.01.2006, 5 StR 341/05, NStZ 2006, 286). Das ist bei „Ehrenmorden“ zum Nachteil von Frauen, die wie Hatun Sürücü nicht mehr wollen als ein selbst bestimmtes Leben zu führen, regelmäßig der Fall.